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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Vaterunser  ›  „Erlöse uns von dem Bösen!“ Moderatoren: Weber
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„Erlöse uns von dem Bösen!“  Dieses Thema wurde bisher 4.585 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Sardy
16 Juli 2006, 16:13 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
26 - 50 Beiträge
Beiträge: 30

„Erlöse uns von dem Bösen!“  -  Die Bedrohung durch das Böse

Diese siebte und letzte Bitte erschüttert nun das bisher Gesagte. Halten wir es fest: In den ersten sechs Bitten haben die Betenden nur mit dem himmlischen Vater zu tun; es geht allein um das Vertrauen zu ihm und den Einklang mit seinem rettenden Willen. In dieser siebten Bitte erscheinen nun die Menschen plötzlich durch eine „dritte Macht“ bedroht. Damit scheint auch ihr Vertrauen zu Gott gestört zu sein, da sie ihn jetzt um Rettung von diesem „Bösen“ anflehen müssen. – Wer ist denn dieses „Böse“? Wollte Jesus hier etwa die Angst vor einem Teufel ansprechen, vor dem uns nur Gott zu retten vermag? Wie erklärt sich diese plötzliche Änderung in der Grundstimmung des Gebetes?

Die ersten sechs Bitten behandeln wesentliche Motive, die wir aus der Verkündigung Jesu gut kennen. Dies lässt sich nun von der siebten Bitte nicht sagen, denn eine Bedrohung durch den Teufel ist kein bekanntes Thema seiner Botschaft. Diese Beobachtung ließ mich daran zweifeln, ob diese Worte von Jesus selbst stammen können. Sie sind durch das Matthäusevangelium überliefert, während sie im Lukasevangelium nicht zu finden sind. Da aber beide diesen Text aus der gleichen Sammlung von Jesusworten (Quelle Q) übernahmen, muss diese Bitte dort gefehlt haben, denn es ist kein Grund ersichtlich, weshalb Lukas das Gebet Jesu um diese Worte gekürzt haben sollte. Deshalb vermute ich, dass die Erwähnung des „Bösen“ hier auf den Redaktor des Matthäusevangeliums zurückgeht, der damit einfach die vorausgehende Bitte über die Versuchungen konkretisieren wollte.

Dass die Versuchungen („Proben“) zu unserem Leben gehören, war Jesus selbstverständlich. Es war ihm auch klar, dass wir vor solchen „Versuchungen“ zu Recht Angst haben, und deshalb nahm er diese Angst in sein Gebet auf.

Bei vielen Menschen, die das Buch Ijob kannten, war diese Angst mit der mythischen Gestalt des Satan verknüpft. Der Schreiber dieses Buches wollte erklären, weshalb ein so tadellos lebender Mensch wie Ijob die schlimmsten Schicksalsschläge erleiden musste. Da er Gott keine Missgunst zuschreiben wollte, musste er die grausamen „Prüfungen“ eines guten Menschen anders erklären. Deshalb schilderte er als Auftakt des Buches eine Szene am „himmlischen Hof“, wo einer der „Gottessöhne“, Satan, als Ankläger gegen Ijob auftritt (Ijob 1,6-12. 2,1-6). Dort wird ein fingiertes Gespräch beschrieben, in dem Gott die positiven, Satan die negativen und misstrauischen Gedanken über die Frömmigkeit des Ijob ausspricht. Am Ende erhält dann Satan, der missgünstige „Gottessohn“, freie Hand zur „Prüfung“ des Ijob. So kommen die Grausamkeiten nicht direkt von Gott, auch wenn er sie unverkennbar in Auftrag gibt. Diese Abspaltung des negativen Schicksals vom Willen Gottes erschien für diesen Schreiber als ein geeigneter Weg, die Existenz der vielen Übel in der Welt zu erklären und die Güte Gottes dabei nicht anzutasten. Was Im Buch Ijob noch nicht viel mehr als ein literarisches Mittel war, entwickelte sich zur Zeit Jesu und der Evangelien schon zum verbreiteten Glauben an den Teufel als Feind der Menschen und Widersacher Gottes.

Diese traditionelle Vorstellung zeigt uns erst, welche Leistung Jesus vollbracht hat, als er mit der Bitte „Stelle uns nicht auf die Probe!“ genau diese Abspaltung des Negativen von Gott zurücknahm! Auch wenn er Gott als den liebenden Vater sah und verkündete, war er überzeugt, dass auch alles Negative, was uns nur treffen mag, nicht ohne diesen Gott gedacht werden kann! Nicht einmal ein Spatz fällt zum Boden, ohne dass er beteiligt ist. Diesem Gott sind wir wichtig, auf ihn können wir in der größten Not vertrauen! - Gerade um dieses Vertrauen zu verinnerlichen hat Jesus uns angeleitet, in diesem Gebet auch die Angst vor „Prüfungen“ in die Hände dieses guten Vaters zu legen. Er war überzeugt, dass uns auch das Schlimmste nicht vernichten kann, denn der Vater und „Erlöser“ der Menschen wird uns niemals vergessen!

Als der Schreiber des Matthäusevangeliums die Bitte um die Rettung vor Prüfungen aus der Quellenschrift Q übernahm, hat er vielleicht beispielhaft an die Prüfungen des Ijob gedacht, und zur Erläuterung hier unsere siebte Bitte um die Befreiung vom „Bösen“, vom Versucher Satan, eingefügt. Der wurde zu seiner Zeit nämlich, anders als noch im Buch Ijob, im Denken der Menschen bereits mit einem personhaften und mächtigen „Bösen“, dem Teufel gleichgesetzt.

So konnte die Bitte „Erlöse uns von dem Bösen!“ ins Vaterunser gelangen. Da es für Jesus darauf ankam, jegliche Angst beim Vater abzugeben, hat Mt mit diesen Worten das Anliegen Jesu bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt! Denn das Flehen, der Vater möge uns vor dem Teufel erlösen, ist eigentlich eine schlimme Drohbotschaft. Sie bedeutet erstens, dass wir im Teufel einen mächtigen Feind haben, dem nur der Allmächtige Herr werden kann, – und zweitens, dass wir niemals sicher sind, ob dieser Gott uns wirklich retten will. Es ist doch schwer, einem Gott zu vertrauen, der sich mit der Erschaffung des Teufels ein Hintertürchen öffnet, um – wie im Buch Ijob – durch ihn eine „schmutzige Arbeit“ zu erledigen. Ein solcher Gott wäre durchaus mit dem Teufel zu verwechseln! Solche Gebetsworte sind m. E. nur geeignet, unsere Angst zu vergrößern, und stehen damit im Gegensatz zur Verkündigung Jesu. Sie können deshalb auch nicht von ihm gesprochen sein.

Nach dem Zeugnis der Evangelien teilte Jesus zwar die Annahme seiner Umgebung, die in vielen Krankheiten das Werk von bösen Geistern sah, aber die Existenz des Teufels war kein Bestandteil seiner frohen Botschaft. Sie war allerdings so fest mit dem Weltbild der Menschen von damals verbunden, dass sie nachher in die "apostolische" Verkündigung aufgenommen wurde. Man ging dabei so weit, sogar die Sendung Jesu vom Kampf gegen den Teufel her zu bestimmen (1Joh 3,. – Da wir heute den Teufel nicht mehr zur Welterklärung brauchen, können wir endlich zum einfachen Glauben Jesu zurückfinden, für den es nur einen Herrn gab, der unser ganzes Vertrauen verdient!

Wenn wir mit Jesus beten wollen, werden wir hier also kaum um die Erlösung aus den Klauen eines Teufels bitten können, der außerhalb von uns existiert und dem wir schutzlos ausgeliefert wären. - Aber wir können viel Verständnis für die ersten Jesusanhänger haben, die nicht daran zweifeln konnten, dass ihr „Widersacher, der Teufel, wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlingen kann“ (1Petr 5,. Sie haben gut daran getan, ihre Teufelsangst ins Vaterunser aufzunehmen mit der Bitte: „Erlöse uns von dem Bösen!“ Wenn wir heute noch mit ihren Worten beten, muss unser Gebet trotzdem mit unserem Weltverständnis und unserem Gottesbild im Einklang stehen.

Es ist freilich auch heute möglich, dieser Bitte einen guten Sinn zu geben. Wir brauchen dazu nur zu bedenken, welche Erfahrungen den früheren Teufelsglauben stützen konnten. Es gibt ja bis heute Menschen, für die der Teufel eine Erfahrungstatsache ist. Sie meinen, in manchen scheinbar unerklärlichen Taten menschlicher Bosheit diesen „Bösen“ zu erfahren, da solche Taten oft auch von den Tätern wie Auswirkungen einer fremden Macht erlebt werden. Solche Wirkungen werden heute als psychische Erkrankungen beschrieben und ohne die Annahme eines von außen einwirkenden Teufels erklärt. Sogar psychisch gesunde Menschen können ja erleben, dass sie von gewissen Gedanken überfallen werden, die sie als sich völlig fremd und abgründig böse empfinden.

Uns Menschen fällt es viel leichter, das Widerwärtige in den anderen zu entdecken, als nach dem eigenen Anteil an Konflikten und Feindschaften zu suchen. Auch den Jüngern Jesu fiel es leicht, den großen Kampf des Lichtes gegen die Finsternis draußen in der Welt und sich auf der Seite des Lichtes zu sehen. Sie haben einmal von Jesus eine Parabel über das Unkraut unter dem Weizen gehört (Mt 13,24-30), die in der Aufforderung zur Toleranz gipfelte: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“ Es war ihnen aber kaum möglich, Unkraut wie Weizen in der eigenen Seele zu sehen und dort – ohne Gewalt – für das Wachstum des Guten zu sorgen, bis bei der „Ernte“ das Wertlose beseitigt wird. Es war einfacher, sich als „Söhne des Reiches“ hell, und die Anderen, die Jesus nicht folgten, als „Söhne des Bösen“ und dunkel zu sehen. So konnten sie sich auf der Seite des Siegers und den Anderen moralisch überlegen fühlen. So waren die Gegner für sie nicht einfach irrende Menschen, sondern Anhänger eines überweltlichen Bösen, der freilich von "Christus" bereits besiegt war. So konnten sie sich vor diesen Mitmenschen verschließen.

Ein Blick auf den Teufel hat alle Gegensätze in Glaubensfragen unüberwindlich gemacht, da die „Guten“ jederzeit glauben konnten: „Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (Eph 6,12). So konnte man die Aufforderung Jesu zur Feindesliebe überhören, da man selber ja keinen Feind hatte, - und für Gottes Feinde war jedes Mitgefühl fehl am Platz (vgl. Joh 17,9). Dieses psychische Muster war in allen Glaubenskämpfen, Kreuzzügen, Ketzer-, Hexen- und Judenverfolgungen wirksam. Angefangen hat es bereits mit Paulus, der alle verflucht hat, die Jesus anders verkünden als er (Gal 1,8f), und dauert bis in unsere Zeit. Ich brauche hier nicht weiter zu betonen, dass Jesus unter „Reich Gottes“ die Liebe ohne Einschränkung, - und damit das Gegenteil eines Kampfes gegen „böse“ Anhänger Satans verstanden hat!

Wer das Böse in den Menschen mit einem übermenschlichen „Bösen“ verbindet, wird kaum geneigt sein, den „Anderen“ zu verstehen und über den eigenen Anteil an einem Konflikt nachzudenken. So kann das Böse sein Teufelswerk unkontrolliert entfalten, so ist aus dem „Teufelskreis“ der Gewalt kein Entkommen möglich! Wer diesen Zusammenhang kennt, wird deshalb selbst einen „erlebten“ Teufel nicht aus dem Bereich menschlicher Verantwortung entlassen wollen. Er wird statt dessen alles daran setzen, das Böse in den Menschen durch Erforschen der menschlichen Seele zu verstehen und Wege zu seiner Beherrschung und Umwandlung zu suchen.

Auf unserem heutigen Erkenntnisstand können wir also dieses „Erlöse uns von dem Bösen“ nur beten, wenn wir dabei an das Böse denken, das in den Menschen „steckt“ und uns allen bedrohlich werden kann. Es ist gut, von Gott die Rettung von diesen oft unbewussten und schwer beherrschbaren negativen Kräften zu erbitten. Wir bekommen ja täglich Nachrichten darüber, welche Grausamkeiten und unbeschreibliches Unrecht Menschen einander zufügen können. Wir bitten also, dass Gott uns - die Opfer wie Täter sein könnten - befreien möge von allem unbewussten „Bösen“, das versteckt in allen Menschen wohnt. Eine solche Bitte schließt aber das Wissen ein, dass dieses „Böse“ unbedingt unserer menschlichen Sorge anvertraut bleibt, auch wenn seine Kontrolle eine sehr schwer lösbare Aufgabe ist. Jesus würde uns heute zweifellos auffordern, uns im Kampf gegen dieses Böse einzusetzen, dabei aber alle unsere Ängste und Sorgen in die Hand des guten Schöpfers zu legen.

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