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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Bibelstellen  ›  Das Menschenbild Jesu (Mk 6,30-34) Moderatoren: Weber
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Das Menschenbild Jesu (Mk 6,30-34)  Dieses Thema wurde bisher 2.241 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Weber
18 Juli 2006, 17:37 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
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Beiträge: 210
Liebe Christen!

Es ist eigenartig und einzigartig: in jedem katholischen Gottesdienst wird ein mehr oder weniger kurzer Text aus einem Evangelium herausgetrennt, also aus dem größeren Zusammenhang gerissen, und dann soll er durch die Predigt zur Weisung werden für die Gemeinde. Das kann riskant sein, weil Sätze, die aus dem Kontext herausgetrennt werden, missverstanden werden können.

1.     Der zerstückelte Text
So ist es auch mit dem heutigen Evangelientext. Er ist in dieser Kürze aussageschwach und missverständlich. Die Sammlung der Apostel, wozu Jesus einlädt, kommt nicht zustande. Schuld daran sind die Leute: ihr Kommen, ihre Gehen, ihr Nachlaufen. Das stört die Ruhe. Und so mag sich der gestresste Seelsorger in diesem Text wieder finden, dass ihm innere Sammlung und notwendiges Ausruhen versagt bleiben. Das führt schnell zum Lecken der eigenen Wunden, zum Selbstbedauern. -  Allerdings gibt es zwischen damals und heute einen kleinen Unterschied: wie die Menschen damals Jesus und seinen Aposteln nachliefen, so laufen sie heute vor deren Nachfolgern weg. Die Situation hat sich grundlegend geändert.

„Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“, heißt es am Ende des heutigen Abschnitts. Und dann folgt im Markusevangelium die Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung, die leider nicht mehr vorgelesen wird. So ist der heutige Kurztext nur die Einleitung zur Brotvermehrung. Und damit verbietet sich jede Überinterpretation.

2.     Das Menschenbild Jesu
Das Bild von den Schafen und dem Hirten als Vergleich für Gemeinde und Seelsorger lässt den Verdacht aufkommen, als würde hier einem Anhängigkeitsverhältnis das Wort geredet. Vor allem wenn man das Wunder der Brotvermehrung als wirkliches Geschehen ansieht – also als hätte Jesus auf geheimnisvolle (eben wunder-bare) Weise viele Brote und Fische herbeigeschafft, wären die Merkmale der Abhängigkeit offensichtlich: also Jesus gibt und die Menschen nehmen. Aber das wird ja ganz anders erzählt. Jesus fragt: wie viel Brot habt ihr? Und mit ihr meint er nicht nur die Apostel, sondern alle hungrigen Menschen, die da vor ihm stehen. Er motiviert alle zum Teilen dessen, was da ist – und siehe: es reicht für alle und noch für viel mehr. Das ist das Wunder: die Liebe, die teilt, was da ist.

Dahinter steckt ein ungeheuer modernes, geradezu emanzipatorisches Menschenbild. Was du von anderen – etwa von Gott – erwartest, nimm selber in die Hand, such dir Verbündete und dann löse das Problem! Und du wirst sehen, es geht. Denn darin liegt der Segen Gottes, wahrlich ein Wunder!

3.     Das Menschenbild der Kirche
Ich sagte vorhin: wie die Menschen damals Jesus und seinen Aposteln nachliefen, so laufen sie heute vor deren Nachfolgern weg. Wie kommt das? Es hängt ganz sicher mit dem Menschenbild zusammen, das die Kirche vertritt. Es ist ein Menschenbild der Abhängigkeit, und das nimmt der moderne Mensch nicht mehr hin.

Allein schon die hierarchische Struktur der Kirche degradiert den Laien zum Konsumenten, der allenfalls Weltdienst tun darf, aber kein echtes Dienstamt in der Kirche übernehmen darf. Und wer als Frau geboren wurde, hat in der Kirche keine Chance. Hierarchische Strukturen sind Machtstrukturen und zutiefst menschenfeindlich. Zur Verneigung vor diesen Strukturen oder wenigstens zu deren Akzeptanz ist der moderne Mensch immer weniger bereit. Kein Wunder, dass die Menschen sich von der Kirche entfernen. Aller oberhirtlicher Jammer über Glaubensschwund und Gottvergessenheit, wie man ihn bei Priesterweihen, Altarweihen und anderen Gelegenheiten hören kann, übersieht den eigenen Anteil am Problem.

Der Jesuitenpater Rupert Lay hat 1995 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: Nachkirchliches Christentum – Der lebende Jesus und die sterbende Kirche. Darin legt er dar, dass mit dem Sterben der Kirche das Christentum keineswegs von der Bildfläche verschwindet. Er sagt: „Es mag sein, dass einmal das Christentum zurückkehrt in die Kirchen, aber das werden dann andere Kirchen sein“ (S. 62)

Ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Predigt mal wieder Diskussionen auslöst. Aber eine Predigt, über die man nicht spricht, wäre keine gute Predigt.

Amen.
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