Liebe Christen!
Wie geht es nach Ostern weiter? Das war die große Frage der Jünger, nachdem Jesus gekreuzigt worden war. Als Auferstandener erschien Jesus den Seinen eine Zeit lang und vermittelte so den Eindruck, dass er nicht tot ist, sondern lebt. Aber ein oder zwei Generationen später brauchten die Jünger eine weiter reichende Zukunftsperspektive. Und darauf geben die einzelnen Evangelien unterschiedliche Antworten. – Lukas, der Theologe des Heiligen Geistes, erzählt, wie Jesus in den Himmel auffährt, um den Zurückbleibenden den Heiligen Geist zu senden. – Das ältere Markusevangelium wird später um die Himmelfahrtserzählung nach dem lukanischen Muster ergänzt, damit das Evangelium nicht so trostlos endet. (Der ursprüngliche Schluss lautete nämlich: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ Mk 16,8). – Das Matthäusevangelium, dessen letzte Verse wir heute gehört haben, hat eine ganz andere Version: Jesus bestellt seine Jünger auf den Berg; dann spricht der Herr von sich als dem Bevollmächtigten im Himmel und auf der Erde (das ist der Ausdruck für die Erhöhung beim himmlischen Vater), dann erteilt er den universellen Missions- und Taufbefehl und endet mit den Worten: „Seid gewiss; ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Keine Himmelfahrt also, aber die Zusage der bleibenden Anwesenheit bei den Jüngern.
Es ist unwahrscheinlich, dass Matthäus selber den Missions- und Taufbefehl überliefert hat. Denn Matthäus war ein Judenchrist und schrieb für jüdische Christen. Den Juden aber war der Missionsgedanke völlig fremd. Außerdem gab es zur Zeit Jesu mit Sicherheit noch keine Taufe auf den Namen des dreifaltigen Gottes. Darum sagt man wohl zu Recht, dass es sich um eine Ergänzung in späterer Zeit handelt. Die Kirche hatte sich da längst etabliert, und das theologische Denken hatte bereits fest gefügte Glaubensformeln hervorgebracht. Aus all dem ist ersichtlich: bis zum Tod und der Auferstehung Jesu ist die Überlieferung ziemlich einheitlich, doch dann gibt es unterschiedliche Zukunftsvisionen.
Nach der Vorstellung des Matthäusevangeliums soll die Frohbotschaft von der Liebe Gottes allen Völkern der Erde verkündet werden. Und auch die Taufe ist für alle vorgesehen – natürlich nicht zwangsweise, wie es dann später oft gemacht wurde. Die Inhalte der Verkündigung sollen dem Geist Jesu entsprechen; denn er selber wird der Garant sein für die Richtigkeit der Verkündigung, weil er alle Tage bei ihnen bleibt. An verbindliche Glaubensbekenntnisse ist noch nicht gedacht, auch nicht an eine unfehlbare Lehrautorität im Kreis der Jünger. Die spätere Engführung in den sich entwickelnden Kirchenstrukturen der katholischen Kirche ist unverkennbar.
Facit: Die Evangelien haben sehr unterschiedliche Visionen davon, wie es mit der Sache Jesu nach Ostern weitergehen kann. Die katholische Kirche hat sich auf einen Weg festgelegt, hat eine Kirchenstruktur aufgebaut, hat ein theologisches System favorisiert. Das ist alles legitim. Was nicht legitim ist: andere Kirchenstrukturen, andere Theologien und andere Formen der Christusnachfolge zu verteufeln. Die katholische Kirche darf nicht kleinlicher sein, als die Bibel ist. Und die eröffnet eine große Vielfalt an Formen der Christusnachfolge. Der mangelnde Fortschritt in der Ökumene heute liegt an uns und nicht nur an den Anderen. Denn Gott ist viel größer und toleranter und vor allem vielfältiger, als wir es in unserem Denken zulassen.
Amen.
|