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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Bibelstellen  ›  Barmherzigkeit statt Opfer (Mt 9, 9-13) Moderatoren: Weber
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Barmherzigkeit statt Opfer (Mt 9, 9-13)  Dieses Thema wurde bisher 2.094 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Weber
07 Juni 2008, 10:10 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
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Liebe Christen!

Es gibt Bibeltexte, die sind ungeheuer provokativ. Das soeben gehörte Evangelium ist so ein Text. Nach der Berufungsgeschichte des Zöllners Matthäus sagt Jesus: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“. Was ist gemeint?

1.     Opferpraxis in allen Religionen
In fast allen Religionen finden wir die Praxis, dass die Gläubigen ihrem Gott oder ihren Göttern Opfer darbringen: die ersten Früchte des Feldes, Jungtiere oder andere Gaben, die einen besonderen Wert darstellen. Man will damit zum Ausdruck bringen, dass Gott eigentlich alles gehört und dass man ihm diesen Besitzanspruch auch nicht streitig machen will. Manchmal hat das Opfer auch den Sinn, die erzürnte Gottheit zu besänftigen und gnädig zu stimmen. In anderen Fällen soll das Opfer Zeichen der Sühne für begangene Schuld sein. Eine extreme Form des Opfers ist das Menschenopfer. Abraham z. B. fühlte sich vor Gott verpflichtet, seinen einzigen Sohn Isaak auf einem Altar zu opfern wie ein Stück Vieh. Lang und ausführlich wird im Buche Genesis Kap. 22 das Vorbereitungsritual beschrieben, wobei das Opfer selber in die Vorbereitung eingebunden ist. Erst im letzten Augenblick kommt es durch Gottes Einschreiten nicht zur Tötung, sondern zu einer Ersatzhandlung. Ein Stier wird statt Isaak geopfert. Man darf davon ausgehen, dass Menschenopfer damals durchaus üblich waren.

2.     Jüdisch-christliche Kritik am Opfer
Erstaunlich ist folgendes: obwohl die Opferpraxis in Israel mit dem Tempelkult fest verankert und geregelt ist, gibt es zugleich deutliche Kritik am Opferkult. Der Fall Isaak macht unwiderruflich klar, dass es Menschenopfer auf gar keinen Fall geben darf. Aber auch der übliche Opferkult wird schon von den Propheten hinterfragt. Bei Hosea (8. Jh. v. Chr.) etwa lesen wir die Jahwe-Worte: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer“ (6,6). Oder bei Jesaja (Trito-Jesaja), der das Fasten als besondere Form des Opfers sehr kritisch sieht, lesen wir: „Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht: wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein  Fasten und einen Tag, der dem Herrn gefällt? Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Joches zu entfernen, die Versklavten frei zu lassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben“ (58,5-8a). Also: Opfer in Form der Selbstkasteiung und des Fastens will Gott nicht, wohl aber Werke der Barmherzigkeit und Nächstenliebe.

Von Jesus selbst ist nicht bekannt, dass er irgendwann im Tempel geopfert hätte. Sehr wohl bekannt ist dagegen Jesu Einschreiten gegen eine Opferpraxis, die mit unerträglichem Geschäftsgebaren verbunden ist. Er jagt nämlich die Händler aus dem Tempel. Statt zu opfern heilt Jesus im Tempelbezirk Lahme und Blinde (Mt 21,14). Genau das ist gemeint mit dem aus Hosea zitierten Wort Jesu: „Liebe und Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ Für diese Haltung steht die Berufung des Zöllners Matthäus und die anschließende Tischgemeinschaft mit vielen Zöllnern und Sündern. So ist es richtig, will Jesus sagen.

3.     Fragen, die sich ergeben
Wie konnte die spätere Theologie den Tod Jesu erneut als Opfer interpretieren und deuten? Als wenn Gott durch die Sünde des Menschen so beleidigt gewesen wäre, dass es eines Menschenopfers, nämlich seines eigenen Sohnes, bedurft hätte, um wieder versöhnt zu werden!? Was ist das für ein Gottesbild! Man denkt unwillkürlich an Abraham und an das göttliche Verbot, Menschen zu opfern. Ein ausgesprochen schlechtes Interpretationsmodell. Gänzlich unverständlich ist dann in der Folge die Bezeichnung der Eucharistiefeier als unblutige Erneuerung des blutigen Opfers am Kreuz. Und wir sprechen vom Messopfer, ohne gedanklich noch wahrzunehmen, was wir da sagen. Diese Vorstellungen waren zur Zeit ihrer Entstehung schon problematisch; heute sind sie überholt und gehören korrigiert. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, sagt Jesus.

Aus der Berufung des geächteten Zöllners und der Forderung Jesu nach Barmherzigkeit ergeben sich noch viele weitere Fragen. Jesus hebt Ausgrenzungen einfach auf – sehr zum Ärger der Pharisäer. Er tut es nicht in der Hoffnung, dass die Zöllner und Sünder später werden wie die Pharisäer, nein, jede Ausgrenzung ist unmenschlich und gehört deshalb korrigiert. Das können wir uns alle hinter die Ohren schreiben: ich, Sie und die ganze Kirche. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, sagt Jesus.

Amen.
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