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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Bibelstellen  ›  Identität ist gefragt (Mt 5,37) Moderatoren: Weber
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Identität ist gefragt (Mt 5,37)  Dieses Thema wurde bisher 3.478 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Weber
25 Mai 2010, 12:21 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
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Liebe Christen!

Die Bergpredigt geht uns alle an: den Priester nicht minder wie den Laien. Daher: die Predigt, die ich Ihnen heute halte, habe ich längst zuvor mir selber gehalten. Was mich an dem Text, den wir soeben gehört haben, am meisten beschäftigt, ist der letzte Vers: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere ist vom Bösen.“ Was ist gemeint?

1.     Nicht Moral ist gemeint.
Einige Christen, die sich für gut halten, sehen in diesem Wort eine verschärfte moralische Haftung für das einmal gegebene Ja-Wort. Also: Wer z. B. bei der Eheschließung sein Ja verpfändet hat, ist für alle Zeiten daran gebunden; es gibt dann kein Nein mehr und kein Zurück. Oder ein anderes Beispiel: ein Priester, der bei seiner Priesterweihe sein Adsum (d. h. „hier bin ich“) gesprochen hat, ist an das Amt wie an die daran geknüpfte zölibatäre Lebensform ein für allemal gebunden. Einmal Ja gesagt heißt dann: immer wieder Ja sagen. Der liebe Gott erscheint derweil als der große moralische Knüppel. Wehe, wenn einer ausschert und es wagt, sein Ja zu widerrufen und in ein Nein zu verwandeln. Der moralische Druck ist so unbarmherzig, dass ein Irrtum bezüglich des einmal gegebenen Ja gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Faktisch wird damit auch die Fortentwicklung der Persönlichkeit ausgeschlossen. Wer sich nicht beim Wort nehmen lässt, ist kein Jünger Jesu. – So die Moralisten.

Ich kann diese Auslegung der Bergpredigt nicht teilen. Wie viel Selbstgerechtigkeit steckt in einem solchen gesetzlichen Denken? So war Jesus nicht. Im übrigen: Kann es nicht sein, dass einer in eine Ehe schliddert, nur weil andere ihn dahin drängen? – aus Verantwortung, versteht sich. Vielleicht wegen einer Schwangerschaft, vielleicht aus Mitleid, vielleicht aus irgendeinem anderen Grund – nur nicht aus persönlicher Zuneigung und Entscheidung. Andere hatten es so gewollt: der wohlmeinende Vater, die besorgte Oma, der strenge Pastor, nur nicht der oder die Betroffene selber. Und nun soll die Zeche bezahlt werden – lebenslang. Eine Zeche, die nicht seine oder ihre ist. – Ähnliches gilt vom Priester. Kann es nicht sein, dass einer in den zölibatären Priesterberuf flüchtet, weil er hier seine womöglich kirchlich zu verantwortende sexuelle Verklemmtheit mit einer göttlichen Aura umgeben kann? Was für ein Gott, der den Menschen auf seine Unreife oder seine psychische Fehlentwicklung für alle Zeiten festlegen wollte! Was für ein Gott, dem das Gesetz wichtiger wäre als das Heraustreten des Menschen aus seiner Unmündigkeit und Fremdbestimmtheit!

2.     Identität ist gefragt.
„Euer Ja sein ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ Dieses Wort ermutigt zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung, es verbietet geradezu jede Außensteuerung. Ich will es in der Ich-Form sagen: Ich bin nicht die Marionette meiner Eltern, nicht die Marionette der Kirche oder des Papstes, nicht einmal die Marionette des lieben Gottes, sondern ich bin ich, von Gott zur Freiheit berufen. Kein Über-Ich oder Außer-Ich hat über mich zu bestimmen, sondern ich selber. Genau das ist gemeint mit dem zitierten Wort aus der Bergpredigt: dein Ja sei dein ureigenstes Ja, und dein Nein sei dein ureigenstes Nein, alles andere ist böse. Das angemahnte Ja und Nein bezieht sich auf identisches Handeln, zu dem wir berufen sind. Man kann nämlich zu einem gegebenen Wort nur dann stehen, wenn man zuvor gelernt hat, selbständig zu sein, d. h. in der eigenen Persönlichkeit festen Stand zu haben. Wer die Bergpredigt anders versteht, unterstellt ihr eine Vergewaltigungssprache. In Wirklichkeit aber spricht das Evangelium die Sprache der Befreiung. Das also will Gott: das in Freiheit und aus eigener Überzeugung gesprochene Ja und Nein. Das und nur das hat vor Gott und den Menschen Geltung.

3.     Aber die Konsequenzen.
Ich bin mir der Konsequenzen bewusst, die in dieser Auslegung stecken können. Ich fürchte sie nicht. Ich fürchte sie weder für mich noch für Sie. Aber ich befürchte, dass die Kirchenleitenden diese Freiheit des Evangeliums nicht wollen und deshalb weiterhin der Moral das Wort reden. Jesus war kein Moralist, sondern ein Freiheitskämpfer. Und darum ist es wohl wichtiger, die Freiheit einzuüben als sich der Moral zu versklaven. Denn nur die frei verantwortete Moral verdient diesen Namen.

„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.“ Wenn man davon ausgeht, dass die Bibel zuallererst ein Glaubensbuch ist und nicht eine Morallehre, dann sagt uns die Bergpredigt: Du bist von Gott her berechtigt, selber Ja und Nein zu sagen, und zwar endgültig, d. h. mit letzter Gültigkeit. Und alle Ja-Worte, die nicht aus dieser Freiheit, sondern aus Angst und unter Druck irgendwelcher Autoritäten gesagt wurden, sind grundsätzlich revidierbar. Es müsste der Kirche und ihren Seelsorgern in der Verkündigung ein Anliegen sein, zur Entfaltung der Persönlichkeit aus einem freimachenden Glauben beizutragen und eine Kultur der Freiheit zu entwickeln, anstatt mit moralischen Appellen die Ängste vor dem Verderben zu schüren. Ich für meine Person werde jedenfalls nicht müde, immer wieder an die Freiheit zu erinnern, die die christliche Botschaft zu einer frohen macht.

Amen.

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