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Forum www.religion-und-spiritualitaet.de    Religion und Spiritualität    Kirche  ›  Scheineinigkeit auf Katholisch Moderatoren: Weber
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Scheineinigkeit auf Katholisch  Dieses Thema wurde bisher 11.151 mal gelesen. Thema ausdrucken Thema ausdrucken
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Weber
19 Oktober 2013, 14:30 Einem Moderator melden Einem Moderator melden
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Wenn in der Vergangenheit in der katholischen Kirche Reformen angemahnt wurden, war die stereotype Antwort der Kirchenleiter, dass es nur gesamtkirchliche Lösungen geben könne und keine teilkirchlichen. So hoch wurde das Gut der Einheit mit dem „Heiligen Stuhl“ gehängt. Eher war es zu verantworten, Millionen von Christen vor den Kopf zu stoßen, als dass einem uneinsichtigen Papst „gesamtkirchlich“ Druck gemacht worden wäre, barmherziger und menschlicher mit den Gläubigen umzugehen. So durften aus kirchenrechtlich gültiger Ehe Geschiedene, die wieder geheiratet hatten, nicht mehr zu den Sakramenten gehen, sie durften in kirchlichen Einrichtungen nicht beschäftigt werden oder wurden gekündigt, wenn Geschiedene, die in kirchlichen Betrieben arbeiteten, wieder heirateten. Rechtsmittel gab es nicht, auch keine Klagemöglichkeit vor dem Arbeitsgericht, weil nach dem Konkordat aus Hitlerzeiten die Kirche das Recht hat, in der Arbeitswelt der Kirche „ihre“ Belange selbst zu regeln. Das allein schon ist in heutiger Zeit ein Skandal.

Nun ist seit einem halben Jahr ein neuer Papst gewählt: Franziskus. Er bringt ein ganz anderes Gespür für Menschen mit. Er kommt aus der Seelsorge. (Papst Benedikt XVI. war nicht eine Stunde Pfarrer gewesen.) Franziskus lässt sich von der Not der Menschen anrühren. Das Ertrinken hunderter afrikanischer Flüchtlinge vor Lampedusa nennt er schlicht eine Schande für das reiche Europa. Es kümmert ihn der Mensch, ob getauft oder nicht. Die Armut macht Christus ähnlich, nicht erst die Taufe. Das ist neuer Wind im Vatikan. Neu ist auch die Einstellung, die der Papst in einem Interview durch die Herausgeber der Jesuitenzeitschriften hat verlauten lassen, dass nicht alle Fragen der Weltkirche zentral in Rom entschieden werden müssen. Er will den Bischofskonferenzen übertragen, ihre Probleme zu lösen. Der Vatikan und seine Behörden (die Franziskus mächtig verkleinert) sollen lediglich Hilfestellung anbieten, aber nicht mehr die letzte, alles entscheidende Instanz sein. Plötzlich wird Einheit ganz neu definiert. Ich habe den Eindruck, dass das einige Bischöfe leicht verwirrt. Denn schon verkündet der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch, dass (als Ergebnis des Dialogprozesses selbstverständlich) es in Zukunft einen Weg in seinem Erzbistum Freiburg geben werde, dass wiederverheiratete Geschiedene an der Kommunion teilnehmen dürfen. Andere Bischöfe erwägen, ähnliche Wege zu gehen, zögern aber noch. Vielleicht wollen sie auch erst abwarten, ob Zollitsch nicht doch noch einen Rückpfiff bekommt. Dann gibt es die Hardliner in Köln und anderen Diözesen, die auf keinen Fall ihre längst veraltete Meinung ändern wollen, und der Rest ist unentschlossen: mal sehen, was die anderen machen, sie scheuen ein eigenes Profil und vor allem Ärger mit den gefürchteten römischen Behörden. Ich spreche von einer bisherigen Scheineinigkeit. Denn auf einmal wird offenbar, dass die Front der Bischöfe in dieser Frage keineswegs in der Vergangenheit so geschlossen war wie vermutet. Die breitere Öffentlichkeit erfährt jetzt, dass der verstorbene Bischof Homeyer von Hildesheim bereits in den Jahren 1987, 1988 und 1990 in Hirtenbriefen Möglichkeiten aufgezeigt hat, wie wiederverheiratete Geschiedene mit der Kirche und ihren Sakramenten leben können. Und mal ehrlich: wenn die Pfarrseelsorger vor Ort sich nicht immer schon die Freiheit genommen hätten, wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu reichen, ja sie ihnen zu empfehlen, dann wäre im Volk die Wut auf die Bischöfe und ihre Ideologie von der Einheit mit dem Heiligen Vater noch viel größer. Papst Franziskus delegiert Verantwortung. Und das ist ein überaus gutes Zeichen, das von seinem Pontifikat ausgeht.

Der Reformstau in unserer katholischen Kirche ist unendlich groß. Es gibt viele Fragen, die neu überdacht werden müssen und einer anderen Handhabe zugeführt werden müssen. Ich denke da an den Zwangszölibat, an die Bewertung einer Segnung homosexueller Paare, an die Änderung hierarchischer Strukturen mit mehr Demokratie und Kontrolle, an eine grundlegend andere Finanzierung des Kirchenapparates als durch Kirchensteuer, an einen Abbau kirchlicher Privilegien in der Gesellschaft und an viele weitere Dinge. Der Papst zeigt uns, was wirklich wichtig ist und wie brüchig manche Grundsätze sind, die in der Vergangenheit wie Fetische durch die Kirche getragen wurden. Franziskus wird es nicht leicht haben, aber wurde Zeit, dass er kam.

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