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Ex 12, 1-8.11-14: Die Opfer der Erwählung Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Gründonnerstag ist der Tag des heiligen Abendmahls: wir erinnern uns der Einsetzung der Eucharistie. Gleichzeitig denken wir zurück an jenes erste Passahmahl beim Auszug aus Ägypten. Wir hörten den Text als Lesung. Nach biblischem Verständnis nimmt Jesus diese Tradition auf, um am Abend vor seinem Leiden im Rahmen dieses jährlich stattfindenden Gedächtnismahles Eucharistie zu stiften. Mit Würde und Hochachtung sprechen wir gewöhnlich von diesem Ereignis - und verschweigen die Kehrseite.
Die Kehrseite des Passah
Ich meine die Kehrseite des ersten Passah. Das, was für Israel als Mahl der Befreiung, als Mahl der Errettung, als Mahl der Verschonung vor dem tödlichen Vorübergang des Herrn gefeiert wurde, machte eine schreckliche Wirklichkeit vergessen: nämlich die Tötung von Tausenden von Erstgeborenen in Ägypten. Keine Aufregung in der Bibel über die Schreie der Angst und der Verzweiflung der Opfer, über die ohnmächtige Wut der Mütter, die ihre Kinder verloren, über die Trauer eines ganzen Volkes; stattdessen die fast zynische Schilderung des Untergangs derer, die sich wehrten in den Fluten des Roten Meeres. Alles scheint so in Ordnung zu sein, gottgewollt und gottgefügt, Erfüllung einer göttlichen Verheißung, die nur des einen Volkes Wohl und aller anderer Völker Wehe will. Geschichte des Heils nur für die einen um den Preis des Untergangs der anderen.
Das unglaubliche Problem
Von Zeiten der Verirrung wie der des Dritten Reiches abgesehen, sind wir geneigt, die alte Perspektive der Bibel beizubehalten: Heil für das Volk der göttlichen Erwählung - so versteht sich Israel heute noch, während die Heimat- und Rechtlosigkeit der anderen außerhalb des Blickfeldes bleiben. Ich denke an die Palästinenserfrage heute. Sie ist auch für die meisten von uns im Bewusstsein eher von sekundärer Wichtigkeit im Vergleich zu Israel, dem erwählten Volk Gottes, mit seinem Recht auf das Land der Väter und dem Lebensrecht in gesicherten Grenzen. Ich will dem Israel unserer Tage nichts streitig machen: weder Land noch Lebensrecht, weder die religiöse Überzeugung der Auserwählung noch die messianische Hoffnung, die zur Identität dieses Volkes gehört. Doch ich frage mich, ob es ausreicht, ausschließlich das Existenzrecht Israels zu beteuern und sein Wohl zu fördern, während die Palästinenser mit ihren Ansprüchen auf Land und Lebensrecht unbeachtet bleiben. Mit anderen Worten: Was ist - damals wie heute - gottgewollte Erwählung und was ist menschliche Überheblichkeit? Oder: Was will Gott wirklich und was wird von uns falsch gesehen und falsch interpretiert?
Das letzte Abendmahl Jesu
Zurück zum Abendmahl Jesu. Für ihn selber ist das Mahl, das er mit seinen Jüngern feiert, kein Mahl der Befreiung, kein Mahl der Verschonung vor dem tödlichen Willen des Vaters. Im Gegenteil: Für Jesus bedeutet das Abendmahl: letzte Gemeinschaft mit den Seinen vor der Kreuzigung, vor der totalen Zerstörung seiner selbst. Über alle Zeiten hinweg gesehen ist das letzte Mahl für Jesus nicht Befreiung von der Knechtschaft, nicht Bewahrung vor dem Tod, sondern Eingliederung in das Schicksal der getöteten ägyptischen Erstgeburt; oder in heutiger Perspektive: Einordnung in das Lager derer ohne Land und ohne göttliche Erwählung. Jesus ist, solange er lebt, nicht Repräsentant der Geretteten, sondern einer der Verworfenen. Jesu Auferstehung und Verherrlichung kommt erst nach dem Tod und nicht - wie die Kirche in der Nachfolge Christi immer wieder für sich fehl interpretiert - vor dem Tod.
Und wir?
Und wir? Auf welcher Seite sehen wir Jesus? Er ist der auserwählte Sohn des Vaters, an dem dieser sein Wohlgefallen hat. Und dann stirbt dieser Jesus den Tod des Nicht-Erwählten. Damit ist er die große Klammer zwischen den Berufenen und den Nicht-Berufenen, zwischen den Israeliten und den Heiden, den Erwählten und Verworfenen, den so genannten Frommen und den so genannten Gottlosen. Jesus gehört allen. Und niemals kann mit seinem Namen Unrecht begründet oder gar gerechtfertigt werden. Doch alle dürfen auf ihn ihre Hoffnung setzen.
Wenn wir Eucharistie feiern, dann kann keiner aus der Gemeinschaft mit Jesus ausgeschlossen sein. Alle gehören wir seinetwegen zusammen - ob Jude oder Christ, ob Muslim oder Buddhist, ob Sünder oder Gerechter, ob Mann oder Frau, ob Jung oder Alt. Kommt und esst! Kommt und trinkt! Das Mahl ist bereitet. Ihr braucht die Kraft dieser Speise - zur Versöhnung der Menschen.
Amen.
Koh 3,1-8: Alles hat seine Zeit Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die Worte aus dem Buch Kohelet gehen uns unter die Haut, in Vielem auch gegen den Strich. Ja, möchten wir sagen, das ist zwar so,
aber es sollte nicht so sein. Natürlich wird immer auf der Welt getötet, aber man müsste es verhindern; natürlich sterben Menschen,
aber einverstanden sind wir damit meist nicht; und Liebende, die sich umarmen, sollen sich nicht wieder trennen, bis der Tod sie scheidet;
und Krieg sollte es nicht geben und Hass unter den Menschen. Doch der Text ordnet die Gegensätze einander zu, als wäre ihre Abfolge das
Natürlichste von der Welt. Und der Mensch, obwohl Subjekt, ist nicht der eigentlich Handelnde; er ist gewissermaßen wie das Wasser im
Strom der Zeit, berührend die gegenüberliegenden Gestade.
Die Lehre der Weisheit
Die Weisheitslehrer der Bibel haben eigentlich immer die Überzeugung vertreten, dass es einen ganz selbstverständlichen Zusammenhang gibt zwischen dem moralischen Tun des Menschen und seinem Wohlergehen als Folge seiner guten Taten. Denken wir nicht heute noch so? Wenn ich die Gebote halte, ist Gott mir eine gute Zeit schuldig. Und umgekehrt: der Schuft gehört bestraft, und zwar von Gott persönlich, möglichst jetzt, in diesem Leben. Diese Automatik von Tun und Ergehen ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen - es wurde uns ja auch so gelehrt, dass wir ein Kerzchen opfern fürs gute Wetter oder zwei für die Genesung der Oma. Das ist die Weisheit des Alten Testaments: dem Gerechten wird es gut gehen, doch der Frevler wird zuschanden.
Die andere Lebenserfahrung
Nicht erst der aufgeklärte Mensch unserer Tage macht die Erfahrung, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Der Prediger selbst, Kohelet, stellt die Richtigkeit der Weisheitslehre in Frage. Das ist nicht so, sagt er seinen Zeitgenossen, und schildert stattdessen den Menschen als Gefangenen der Zeitabläufe. Nicht der Mensch hat Einfluss auf das Zeitgeschehen, sondern die Zeit und das Geschehen haben ihre eigene Gesetzlichkeit. Und die Automatik von Gutsein und Wohlergehen entspricht nicht der Lebenserfahrung. Kohelet selbst sagt an einer Stelle: "Es gibt Gerechte, die das trifft, was dem Tun der Frevler entspricht, und es gibt Frevler, die das trifft, was dem Tun der Gerechten entspricht" (8,14). Die ganze herkömmliche sittliche Grundlage gerät aus den Angeln, und es gibt nur hoffnungsloses Chaos. Ein weiteres Zitat: "Ein und dasselbe Geschick trifft alle: den Gerechten und den Frevler, den Reinen und den Unreinen, den, der opfert, und den, der nicht opfert; wie dem Guten, so geht es dem Sünder, wie dem, der schwört, so dem, der den Schwur scheut" (9,2). Es ist dieselbe Ratlosigkeit, die heute jemand, dem schweres Leid zustößt, mit der Frage ausdrückt: "Womit habe ich das verdient?" Gott gibt keine Antwort auf die großen Rätsel unseres Daseins. Im Verlauf des Buches Kohelet kommt es denn auch zu keiner Lösung des Problems, der Verfasser bleibt skeptisch, pessimistisch. Die Welt hat ihre Ordnung verloren, und Gott selber trägt dafür die Verantwortung. - Es ist erstaunlich, dass dieses überaus kritische Buch im biblischen Kanon seinen Platz gefunden hat; denn es bringt Unordnung in die Harmonie der geltenden Lehren über Gott.
Das persönliche Vertrauen
Und worin liegt der Wert dieses Textes und des ganzen Buches Kohelet? Es verbietet alles leichtfertige Reden von Gott; denn es wird so schnell zum frommen Geschwätz. Gott ist das große Geheimnis, das kein Theologe, kein Weisheitslehrer und keine Religion lüftet. Gott Gott sein zu lassen, wäre ein wichtiger Schritt, der uns helfen könnte, mit den Widersprüchen leben zu lernen, die sich zwischen unseren Lebenserfahrungen und unseren selbstgemachten oder ererbten Gottesbildern auftun. Entscheidend wir sein, dass wir darauf vertrauen, dass das Geheimnis, das wir Gott nennen, uns wohl will. Aus diesem Vertrauen wächst die Kraft zu leben.
Ich wünsche Ihnen für das kommende Jahr diese Kraft zu leben - von Gott.
Amen.
Koh 3, 1-8: Alles is för jet god (Prädig op Kölsch 2012) Wilhelm Weber
Leev Mädche un Junge vun Maye,
leev Fastelovendsjecke!
Et es e halev Johr her,
do han ich en der Kölnischen Rundschau en Dudesaanzeig gelesse -
un zwar op Kölsch.
Bovve drüvver,
do wo söns luuter esu fromm Sprüch stonn,
stundt dä Satz:
"Alles is för jet god."
Do drunger kom der Name vun dem Dude
un dä Rest wie gewöhnlich.
Ich wor von de Söck, wie ich dat los.
Wie kann einer op en Dudesaanzeig schrieve:
"Alles is för jet god"?
Zueesch han ich gedaach:
Dat wör villeich ene Spruch,
dä dder Dude, als hä noch nit dud wor, luter gesaat hät,
wann hä Godd un de Welt nit begriefe kunnt.
Doch irgendwann es mer klor woode,
dat der Spruch en ganz große Verneigung vür unserem Herrgodd es.
Der Dud gehürt zom Levve,
un dodurch, dat der Herrgodd Minsche stirwe lööt,
bewahrt hä de Schöpfung vür der Vergreisung.
"Alles is för jet god" well dann sage:
Häär, ich verstonn zwar de Welt nit mih,
ävver do häs der secher jet dobei gedaach.
Denn der Häär deit jo nix verkeht maache.
Han ich nit Rääch?
"Alles is för jet god."
Dä Sproch hätt et en sich.
Stellt üch vür:
En Famillich mit zwei anstrengende Pänz,
enem Hung un enem kranke Mann.
Eines Dags trecken de Pänz vun doheim fott un gonn ihre eigene Wäg,
der Hung kann nit mih und och der Mann stirv.
Jo jo is de Mutter jetz allein.
Ävver - wann se gescheit es -
lööt de Witfrau de Truer flöck hinger sich,
un e janz neu Levve kann aanfange,
esu wie se sich et nie hätt dräume losse.
Han ich nit Rääch?
"Alles is för jet god."
Ich denken an Maye em Kreeg: 2. Januar 45.
De Stadt wood zu 90 % zerstört.
Vill Dude, e groß Leid in baal jedem Huus.
Un hück? Wat han mer widder en schön Stadt!
Han ich nit Rääch?
"Alles is för jet god."
Wann ich so an uns hellige, römisch - katholische Kirch denke,
dann hät der Helligesching en de letzte Johre ärg geledde.
De Missbrauchsfälle han uns klor gemaht,
dat och die Schinghellige nor Minsche sin.
Ov ehr et gläuve dot ov nit:
Et gitt kein Bisterei op der Welt,
die et nit och en der Kirch gegovve hätt oder gitt.
No is god, dat alles erus gekumme es
un dat unsere Bischof der Sumpf drüg gelaht hät.
Villleich hätt jo dä Missbrauchsskandal de Arroganz en der Führungsriege e bessche gebrems
un der allgemeine Demod en der Kirch op de Bein geholfe.
Han ich nit Rääch?
"Alles is för jet god."
Priestermangel och? Jo!
Villleich föht dä jo dozo,
dat sich uns Kirch in Zokunf mih versteiht
als Gemeinschaff vun de Gläubige
un nit - wie hügg - als Club vun de Geweihte.
Wo Glaube es, do es de Kirch.
Wat hät sich unser Här Jesus luuter gefreut,
wann hä bei de Minsche Glaube gefunge hät!
Dogäge wor et im eigentlich egal,
ob sing Apostele mit dem Pitter aan der Spetz
alle Dag Collar un Talar un eventuell noch rud Pantüffelcher drage däte.
Han ich nit Rääch?
"Alles is för jet god."
En der Lesung hamer et gehoot:
Kreeg un Fridde, Söke un Verleere,
dud maache un heil maache, leev haalde un hasse:
alles hätt sing Zigg - un alles is för jet god.
Wie dat all zesamme pass, weiß keiner,
ävver uns Herrgodd, der weiß dat.
Dä frößelt dat alles zesamme
un mäht dodrus en grandiose Iewigkeit.
Un mir rofe hügg voll Glöck:
dreimol Maye Mayoh / Maye Mayoh / Maye Mayoh
Is 43, 18-21: Seht, ich mache etwas Neues Wilhelm Weber
Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer!
In der Lesung haben wir einen Jesaja-Text gehört, der aufhorchen lässt. Ich wiederhole noch einmal ein paar Kernsätze: "Der Herr spricht: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht? Ja, ich lege einen Weg durch die Steppe und Straßen durch die Wüste." Der geschichtliche Hintergrund, der diese Verheißung hervorgebracht hat, ist die babylonische Gefangenschaft des Volkes Israel. Die babylonische Gefangenschaft gilt als besonders schwere Zeit für Israel, nicht weil - wie immer irrtümlich behauptet wird - die Israeliten zu Fronarbeit gezwungen worden wären; nein, es ging ihnen dort verhältnismäßig gut; vielmehr assimilierten sie sich in der Fremde an die babylonische Bevölkerung und ihre heidnischen Religionen und setzten so ihre Identität als Juden aufs Spiel. Der Verlust des Tempels als religiöser Mittelpunkt beschleunigte den Verlust jüdischer Identität. - Das ist ungefähr 1500 Jahre her.
Als ich den Text las, fielen mir sofort Parallelen zu unserer Zeit ein: wir geben heute Kirchenbauten, also Zentren religiöser Identität auf, ebenso Gottesdienste und Gemeindeleben, die früher für Zusammenhalt und Selbstbewusstsein sorgten. Die Menschen wandern ab in die religiöse Anonymität der säkularen Gesellschaft, begeben sich freiwillig in die Gefangenschaft religiöser Gleichgültigkeit oder des so genannten atheistischen Fortschrittsglaubens. Die religiöse Herkunft bindet sie nicht mehr. Mit anderen Worten: Eine rückwärts gerichtete Kirche verliert die Zukunft, weil sie den Menschen allenfalls Museum, aber nicht mehr Heimat bietet. Und nun hören Sie noch einmal genau hin. "So spricht der Herr: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten." Das sind deutliche Worte, Klartext. Nicht das Bewahren ist das Wichtigste, sondern die Zukunft verlangt unsere ganze Aufmerksamkeit. "Seht her", sagt der Herr mit den Worten Jesajas, "ich mache nun etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?" Das klingt schon fast vorwurfsvoll. Und dann folgen die Worte: "Ja, ich lege einen Weg an durch die Steppe und Straßen durch die Wüste." Diese Wege und Straßen führen nicht zurück, sondern bringen uns in die Zukunft. Zukunft geht vorwärts und nicht rückwärts. Deutlicher kann man es nicht ausdrücken.
Wir haben in der Kirche momentan einen historisch bedeutsamen Augenblick. Der Papst ist zurückgetreten. Man tut ihm nicht Unrecht, wenn man darauf hinweist, dass er in vielerlei Hinsicht aufs Bewahren aus war. Dass er nun durch seinen Rücktritt den Weg frei gemacht hat für eine neue Weichenstellung in der Kirche, ist - ich betone das ausdrücklich - ein Verdienst, keine Schlappe. Die Kirche könnte an einem Wendepunkt stehen. Es liegt nun an den Kardinälen, die zum Konklave zusammen getreten sind, aus dieser Chance etwas zu machen. Und dafür wollen wir heute (auch) beten.
Amen.
Apg 5, 29: Jede Wahrheit braucht einen Mutigen Wilhelm Weber
Liebe Christen!
"Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht." Mit diesem Motto wirbt die Bild-Zeitung seit Monaten um Leser. Abgebildet sind auf diesen Plakaten Galileo Galilei oder Mahatma Gandhi oder Albert Einstein oder einfach ein Zitat dieser Persönlichkeiten. Die Werbung will unterschwellig vermitteln, dass die Bild-Zeitung den Mut hat, auch unbequeme Wahrheiten öffentlich zu machen. - Es sei dahingestellt, ob diese Werbung gerade für die Bild-Zeitung adäquat ist, in sich stimmig ist der Werbetext allemal. Als ich ihn zum ersten Mal las, kam mir gleich die Assoziation an den bekannten Vers aus der Apostelgeschichte, den wir in der heutigen Lesung gehört haben: . Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (5,27).
Zwei Gedanken:
"Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht." Es ist ohne Zweifel einfacher, den Mut zu verweigern. Dann hat man weniger Stress, weniger Ärger, mehr Freunde und größere Akzeptanz. Konformität ist bequem; gegen den Strom zu schwimmen ist höchst unbequem.
Was ist gemeint? Es ist z.B. einfacher wegzuschauen, wenn in der Nachbarschaft ein Kind vernachlässigt wird, als sich drum zu kümmern. Gestern noch war in der Zeitung zu lesen, dass der zweijährige Kevin aus Bremen noch leben könnte, wenn das Jugendamt seinen Vormundschaftspflichten nachgekommen wäre. Der drogenabhängige Vater hatte das Kind auf grausamste Weise misshandelt, bevor es starb. Das Jugendamt hatte sich nicht gekümmert. - Ein anderes Beispiel: In der Charité in Berlin tötete eine Krankenpflegerin schwer leidende Patienten, weil sie das so für richtig hielt. Andere Krankenpfleger wussten das, schauten aber weg und schwiegen. Das sind nur zwei Beispiele aus der aktuellen Presse. - Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Nicht die Konformisten, die zu allem Ja und Amen sagen, machen die Welt humaner, sondern die Mutigen, die das Unrecht beim Namen nennen und für Abhilfe sorgen.
"Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht." Den zweiten Gedanken will ich der Kirche widmen. In der Kirche wird Widerspruch gleich als Unglaube disqualifiziert. Damit soll der Kritiker mundtot gemacht werden. Das war übrigens schon bei den Profeten im Alten Testament so. Heute haben ganze Heerscharen von Theologen Lehr- bzw. Redeverbot, weil sie der Lehre oder der Praxis der Kirche begründet widersprochen haben. Dabei hätten die Forschungsergebnisse sowohl der historischen Wissenschaften wie auch der systematischen Fächer der Kirche nützen können. Vielleicht wäre die gegenwärtige Krise längst überwunden, wenn die Mahner und Warner in der Kirche ernster genommen worden wären. Stattdessen wird Konformität gepredigt und unter dem Deckmantel der Einheit jeglicher Widerspruch vermieden. Unsere Bischofskonferenz z.B. mag sich einer grenzenlosen Loyalität gegenüber dem Heiligen Stuhl rühmen. Aber im Grunde tritt sie auf der Stelle.
Kultureller Fortschritt in Gesellschaft und Kirche ist eigentlich immer durch Widerspruch in Gang gesetzt worden. Wo das Geltende in Frage gestellt wird, kommt Bewegung in die Sache. Lebendig sein heißt in Bewegung sein. Was sich nicht mehr bewegt, stirbt ab oder ist bereits tot. Es gibt Wahrheiten, die sind in Vergessenheit geraten. Sie tauchen irgendwann mal wieder auf, und zwar als Widerspruch zum Geltenden. Und dann brauchen sie einen Mutigen, der sie ausspricht.
Amen
Apg 6, 1-7: Wie einfach Reformen sein können Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die Apostelgeschichte, aus der wir soeben eine Lesung gehört haben, beschreibt jene Zeit, in der die junge Kirche sich selbst erfunden hat. Wie einfach war das doch früher, Lösungen zu finden, wenn sich im Gemeindeleben Probleme auftaten. Die Versorgung der Witwen hatte damals offensichtlich einen hohen Stellenwert. Als den Zwölfen, die die Gemeinde leiteten, für diese Aufgabe Personal fehlte, beauftragten sie kurzerhand einige aus der Gemeinde für diesen Dienst, und der Fall war erledigt. Später nannte man diese Helfer Diakone, noch später wurde daraus ein Berufsstand mit Weihe. Das war ursprünglich wohl gar nicht so beabsichtigt. - Ich frage mich insgeheim, wie hätten die Zwölf wohl unsere Probleme, die wir heute in der Kirche haben, gelöst. Es müsste doch auch heute einfache Wege geben, den Kirchenapparat wieder flott zu kriegen.
Ein Vergleich mit der Diözesansynode.
Ich bin davon überzeugt, dass auch unser Bischof Ackermann in Trier gerne eine zeitgemäße, zukunftsfähige und gut funktionierende Kirche haben möchte; sonst hätte er sich den Stress der Diözesansynode nicht angetan. Ich habe mir mal das Statut der Diözesansynode aus dem Internet heruntergeladen. Abgesehen vom Unterschied zwischen orientalischer Mentalität im Neuen Testament und trierischer Gründlichkeit in Europaqualität sind mir ein paar kleine Unterschiede zwischen damals in Jerusalem und heute in Trier aufgefallen. - 1. Damals haben in Jerusalem die Zwölf, das war die gesamt nachösterliche Führungsriege der Kirche ohne ein Alphatier an der Spitze, beschlossen, geeignetes Personal für die zu erledigenden Aufgaben einzustellen. Das wäre in Trier so nicht möglich. Da gibt es an der Spitze kein Gremium, sondern eine einzige Person: den Bischof. Und der ist für alles verantwortlich - nicht nur für das, was gelingt oder gelingen würde, sondern vor allem für das, was nicht gelingt, und natürlich für das, was von Rom beanstandet werden könnte. Deshalb hat er sich in den Synodalstatuten einen bischöflichen Vorbehalt eingearbeitet. Wenn ihm nämlich das synodale Spiel zu bunt wird, wenn also Beschlüsse der Synode gesicherte (d. h. durch Tradition, nicht unbedingt durch Einsicht geheiligte) Grundsätze des Glaubens oder der Moral in Frage stellen, kann er als Bischof den synodalen Prozess stoppen. Er könnte zu seiner Entschuldigung sagen: das sind die Spielregeln, unter denen ich zum synodalen Prozess eingeladen habe. Bischof Ackermann ist ja ein noch ein Bischof aus der Ära Benedikts, wo man nicht vorsichtig genug sein konnte. Die Einfachheit und Selbständigkeit eines Franziskus müssen die meisten Bischöfe noch erst lernen. - Eine Synode macht übrigens nur Sinn, wenn man Bewährtes in Frage stellt, um Neuem Platz zu machen. Ich denke, unser Papst wartet auf solche Impulse. - 2. Im Unterschied zu damals gibt es heute zu viel Angst in Bischofskreisen. Da ist einmal die Angst vor den Laien (als ob die nur Chaos und Konfrontation wollten) und Angst vor denen in Rom (als wenn es da nicht auch Vernünftige und für Reformen Aufgeschlossene gäbe). Ich habe den Eindruck, dass der Papst den Letzteren den Rücken stärkt.
Einfache Reformen heute?
Einfach ist heute nichts mehr. Aber vielleicht könnte man mal ausprobieren, wie das in Rom ankommt, wenn man sich als Bischof an die Spitze seiner Gläubigen setzt. Eine Kirche kann nur überleben, wenn sie sich ändert. Ein Bischof kann nur gut sein, wenn er als Mann seiner diözesanen Gläubigen auftritt. Eine Diözese kann nur Geschichte schreiben, wenn sie Überliefertes durch Besseres verbessert. Hoffentlich werden keine Themen ausgeklammert mit dem Argument, die könnten nur gesamtkirchlich gelöst werden. Die Gesamtkirche braucht eben auch Impulse aus ihren Teilkirchen. Ich bin sicher: der Papst wartet darauf.
Insofern ist die Trierer Diözesansynode ein wahnsinnig interessantes Unternehmen. Und man darf gespannt sein, was am Ende dabei herauskommt.
Amen
Apg 9, 1-22: Pauli Bekehrung Wilhelm Weber
Liebe Christen!
1. Die Bekehrung des Apostel Paulus als Festfeier hat ihre Tücken. Es gibt viele Gründe, den Apostel Paulus in der Kirche wert zu schätzen: seine Missionstätigkeit, seine Theologie, seine Authentizität von Glauben und Leben (er lebte, was er glaubte) und vieles mehr. Das Paulus-Jahr wird dafür sorgen, dass die Verdienste dieses selbsternannten Apostels ausgiebig in Erinnerung gerufen werden. Für die junge Kirche war Paulus ein großer Zugewinn, kam er doch auf spektakuläre Weise aus jenen Kreisen des Judentums, die die Christen verfolgten, und zwar blutig. So was geschieht häufig, wo Religionen miteinander rivalisieren. Und die Christen haben ihrerseits in der Geschichte ihre Blutspur gelegt, vor allem gegen die Juden. In dem Maße Paulus für die Christen ein Zugewinn war, war er für die Juden ein Abtrünniger. Denn er gehörte zur Schicht der schriftgelehrten Pharisäer und hatte wohl bei dem berühmten Gamaliel seine Ausbildung erhalten.
2. Den Übertritt des Paulus zur Gemeinde der Christen nannten diese Bekehrung. Das ist ein wertender Begriff. Wer sich bekehrt, verlässt einen falschen Glaubensweg und wendet sich dem richtigen zu. Paulus tut diesen Schritt aufgrund göttlicher Berufung und sicher auch aus persönlicher Einsicht. Vor seinem persönlichen Gewissen ist er verpflichtet, diesen Schritt des Übertritts zu tun, und aus seiner persönlichen Perspektive mag er das auch als Bekehrung ansehen. Nun haben die Christen ganz allgemein das Recht, ihren Glauben als den einzig richtigen zu betrachten. Aber schnell ist damit verbunden die Abwertung oder sogar Verachtung anderer Glaubensrichtungen. Und so entwickelt sich bei den Christen schnell die Überzeugung, dass alle Juden, um in den Himmel zu kommen, zuerst Christen werden müssen. Um das zu erreichen, gibt es friedliche Mittel oder auch weniger friedliche. Zu den friedlichen Mitteln gehört das Gebet - etwa so: "Lasset uns beten für die perfiden Juden: Gott, unser Herr, möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen, auf dass auch sie unsern Herrn Jesus Christus erkennen. - Allmächtiger ewiger Gott, du schließt sogar die treulosen Juden von deiner Erbarmung nicht aus; erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen: Möchten sie das Licht der Wahrheit erkennen, welches Christus ist, und ihrer Finsternis entrissen werden." Das ist der Originaltext der vorletzten Karfreitagsfürbitte, die seit dem Mittelalter oder noch länger gebetet wurde bis 1970, dem Datum der nachkonziliaren Liturgiereform. Papst Johannes XXIII. hatte 1959 lediglich den Ausdruck "perfide" weggelassen. Er wurde später zum großen Reform- und Konzilspapst.
3. Was hat das Konzil geändert? In der Konstitution "Nostra Aetate" formuliert das Konzil das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen neu. Man kommt zu der Erkenntnis, dass Mission als Ruf zur Umkehr vom Götzendienst zum lebendigen und wahren Gott nicht auf die Juden angewandt werden kann. Darum gibt es heute keine judenmissionarischen Aktivitäten mehr. Zwischen der Kirche und dem jüdischen Volk geht es um die Begegnung "auf der Ebene ihrer je eigenen religiösen Identität". So hat es Papst Johannes Paul II 1979 ausgedrückt. Einzelne Konversionen, die auf Grund einer sehr persönlichen Entscheidung erfolgen, sind darum nicht ausgeschlossen. Als eine solche persönlich bedingte Ausnahme muss man die sog. Bekehrung des Apostels Paulus sehen.
4. Für alle unverständlich hat Papst Benedikt XVI. im Juli 2007 durch eine großzügige Geste den katholischen Traditionalisten gegenüber erlaubt, dass in Zukunft auch die alte Form der sog. Tridentinischen Messe in Latein wieder verwendet werden darf. Nicht der Gebrauch des Lateins ist das Ärgernis, sondern die Zulassung der Formulierungen von vor 1960 in der Karfreitagsliturgie etwa. Man kann also so tun, als habe es kein Konzil gegeben. Wenn man den Schritt des hl. Paulus zum christlichen Glauben als "Bekehrung" bezeichnet, rückt man den jüdischen Glauben in den Dunstkreis des Heidentums. Das ist nicht nur antisemitisch, sondern auch Beschmutzung des eigenen christlichen Nestes, weil der christliche Glaube seine eigenen Wurzeln im Judentum hat. Das heutige Fest hat seine theologische Problematik. Es bleibt zu hoffen, dass eine baldige Liturgiereform sich dieser Problematik annimmt.
Amen
1 Kor, 12, 12-31a: Von der Wertschätzung aller in der Kirche Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Der heilige Paulus konnte, als er den ersten Korintherbrief schrieb, nicht ahnen, dass 2000 Jahre später seine Rede von den Gliedern am Leibe Christi Schmunzeln auslösen würde. Verbinden doch Ohren des 21. Jahrhunderts schnell die Rede von den Gliedern oder, wie es wörtlich heißt, vom Glied am Leibe Christi mit der Vorstellung von dem einen Glied, das auch den Herrn Jesus als Mann ausweist. Sprache ist eben etwas Lebendiges und ändert bisweilen den Fokus bestimmter Ausdrücke. Das soll mich aber nicht davon abhalten, das theologisch Bedeutsame dieses Textes herauszuarbeiten und - wie Sie es von mir gewöhnt sind - einige Folgerungen daraus für unsere heutige Kirchenpraxis zu ziehen.
Wenn man den Text etwas strukturiert, dann ist die erste und wichtigste Aussage gleich am Anfang, dass wir in der Taufe durch den Geist zu einem einzigen Leib zusammengefügt worden sind: zum geistigen Leib Christi. Interessanterweise werden mit dem Beginn der Christuszugehörigkeit, der Taufe also, alle geschichtlich gewordenen und religiös wie kulturell geprägten Eigenheiten bedeutungslos. Nicht gilt mehr Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, weil alle mit dem einen Geist getränkt sind. Konsequenterweise hätte Paulus noch das Gegensatzpaar von Frauen und Männern einfügen sollen; doch wie wir wissen, hat Paulus es mit Frauen nicht so gehabt.
Dann zählt Paulus die Glieder des Leibes auf, um allen zu sagen: ihr seid Teil des Ganzen, ihr gehört dazu, ihr seid wichtig, und keiner hat das Recht euch zu verachten. "Im Gegenteil", sagt er, "gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich." Welche Glieder mit "weniger edel", "weniger anständig" oder "gering" gemeint sind, kann man heute wohl nicht mehr in Erfahrung bringen. Paulus hatte da so seine eigene Vorstellung. Was für den Apostel wichtig war: Alle Glieder stehen miteinander in Verbindung, leiden miteinander, freuen sich miteinander und dürfen sich als Teil des geistigen Leibes Christi verstehen.
In einem dritten Schritt erfahren wir, dass das Bild vom Leib Christi und seinen Gliedern ein Symbol ist für die Kirche mit ihren unterschiedlichen Gaben und Begabungen. Kirche soll sein ein lebendiger Organismus, wo jeder seine Bedeutung hat und eines jeden Begabung und Können unbedingten Respekt und unbedingte Wertschätzung verdienen. Weil der Geist das Ganze durchflutet, darf es kein Gerangel untereinander geben, keine Herrschaft der Einen über die Anderen, auf gar keinen Fall Verachtung oder gar Amputation eines Gliedes zum Wohle des Ganzen. Wir würden so etwas heute kirchenrechtlich als Exkommunikation bezeichnen. Für Paulus undenkbar und unverzeihlich, wenn geistliche Macht gegen irgendjemanden missbraucht würde in diesem lebendigen Organismus, den wir Kirche nennen.
Was Paulus sich da ausgemalt hat, ist wirklich schön und ergreifend, nur entspricht die konkrete Kirche in keiner Weise diesem von ihm so enthusiastisch vorgestellten Modell. Hatte Paulus keine Ahnung oder sind wir auf dem Holzweg? Letzteres scheint mir der Fall zu sein.
- Stellen Sie sich vor, wir würden in der Kirche (also auch kirchenrechtlich gesehen) die Laien richtig wertschätzen: ihre Begabung, ihre Meinung, ihre säkularen Fähigkeiten, meinetwegen auch ihr Bauchgefühl ernst nehmen, dann würden sie bei der nächsten Neubesetzung des Trierer Bischofsstuhls wählen dürfen; denn auch die Laien sind (nach Paulus) durchflutet vom Geist, und zwar nicht weniger als alle anderen. Das wäre gewiss eine Revolution, aber eben eine Revolution des Geistes
- Stellen Sie sich vor, Frauen würden in der Kirche so geachtet und wert geschätzt, wie es ihnen zustände. Dann dürften sie geistliche Ämter ausüben, also nicht nur als Priesterinnen wirken, sondern auch im Bischofsamt und grundsätzlich auch im Amt des Papstes. Zwar könnten die sich nicht auf ein Wort des Apostels Paulus berufen (Sie wissen ja: Paulus hatte es nicht so mit den Frauen), wohl aber auf seinen Geist. Denn zur damaligen Zeit waren die Gegensätze: Juden und Griechen, Sklaven und Freie größer als der Gegensatz von Männern und Frauen. - Mehr noch: wenn Frauen (denen Paulus bekanntlich das Wort in der Kirche verboten hat) in der Kirche mehr zu sagen hätten, dann würden sie den lieben Gott nicht nur im männlichen Design verehren, sondern ihn in weiblicher Symbolik den Frauen unserer Zeit und endlich auch den Männern nahe bringen. Aber der Widerstand der zölibatär männlichen Kirchenführung gegen feministische Theologie ist ernorm groß. Da haben Kirchenmänner offensichtlich eine feministische Allergie. Immerhin: wenn sich das durchsetzen würde, wäre das eine Revolution, aber eben eine Revolution des Geistes.
- Noch eins möchte ich ansprechen. Stellen Sie sich vor, Männer oder Frauen, dürften, wenn sie einen geistlichen Beruf ergreifen möchten, frei wählen, ob sie zölibatär leben oder eben in einer Familie leben möchten. Das wäre doch eigentlich eine individuelle Selbstverständlichkeit. Ist es aber (noch) nicht. Aber wenn es dazu kommen sollte, wäre das eine Revolution, und zwar eine Revolution des Geistes.
Ich könnte Ihnen noch mehr, ja noch brisantere Beispiele nennen. Aber Sie wissen ja: ich beschränke mich immer auf drei Punkte. Und deshalb sage ich jetzt
Amen Wenn Sie diesen Text downloaden möchten, klicken sie bitte hier.
2 Kor 3, 2-6: Ich bin dankbar. Wilhelm Weber
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
liebe Gemeinden von Quadrath und Ichendorf!
Zum letzten Mal feiere ich heute als Pfarrer von Quadrath und Ichendorf die heilige Messe in dieser Kirche und habe damit die Gelegenheit, mich mit dieser Predigt ganz offiziell von Ihnen zu verabschieden. Was sagt man wohl zum Abschied, wo man sich wohl gefühlt hat? Ich sage: Danke!
1. Dank an die Gemeinde
Ganz oben steht für mich der Dank an die Gemeinde. Nach gut 19 Jahren Seelsorgearbeit in diesen Gemeinden spricht mir der hl. Paulus aus der Seele, wenn er zu seiner korinthischen Gemeinde sagt: "Unser Empfehlungsschreiben seid ihr; es ist eingeschrieben in unser Herz, und alle Menschen können es lesen und verstehen. Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern - wie auf Tafeln - in Herzen von Fleisch" (2 Kor 3,2f.). Genau das empfinde ich heute, wenn ich Sie so vor mir sehe. Wenn einer an meinem priesterlichen Selbstverständnis zweifelt, wie z. B. der Erzbischof von Köln, dann soll er sich diese Gemeinden anschauen.
Sie sind keine Gemeinden der Vollkommenen, Sie sind auch keine Superchristen im Sinne der Morallehre, aber Sie sind tolerant; Sie dulden Abweichler und brandmarken keinen Versager. Weil Sie Ihre eigenen Grenzen kennen, sind Sie gnädig mit sich und anderen. Sie waren ja immer gnädig auch mit mir. All das zeichnet Sie aus als Christen: Ihr Menschsein. Was Sie noch auszeichnet: Ihr Engagement in der Gemeinde und über die Gemeinde hinaus. Vereine, Gremien, Gruppierungen und viele einzelne Persönlichkeiten haben in der Kirchengemeinde und übergreifend im gesellschaftlichen Raum einiges bewegt. Darauf bin ich sehr stolz. Vor allem hat mir gefallen. Dass kleinkariert-katholisches Denken hier nie eine wirkliche Chance gehabt hat. Im Gegenteil: es gibt etliche Menschen, die der katholischen Kirche nicht oder nicht mehr angehören, die trotzdem zu den Gemeinde gestaltenden Kräften gehören. Zwar habe ich diese Offenheit und Weite immer gefördert, aber eben nur gefördert; sie waren als Bereitschaft längst vorhanden und bedurften meist nur der ermunternden Worte, um in Erscheinung treten zu dürfen.
Was ich hier oft bewundert habe: das persönliche Engagement einzelner in der sozialen Tat. Das Kriterium des Christlichen ist ja nicht der Messbesuch allein, sondern ganz entscheidend die Tat, die aus Liebe oder aus Mitleid geschieht: z. B. die Pflege Kranker und Hilfsbedürftiger in der Familie, Sterbebegleitung ohne finanzielle Absichten, ehrenamtlicher Einsatz bei sozial Schwachen und vieles andere mehr. Die so Engagierten gehören keineswegs immer zu den kirchlichen Vorbetern, sie sind manchmal gar nicht kirchlich orientiert, und doch ist ihr Tun wahrhaft christlich. Man muss nur Augen haben um zu sehen und Ohren um zu hören, um die verborgenen Christen zu erkennen. Ich habe hier viele davon kennen gelernt und bin sehr dankbar dafür.
Und noch was hat mir hier gefallen: die Menschen können feiern. Wer feiert, bringt zum Ausdruck, dass er einen Überschuss an Hoffnung hat, auch wenn die gegenwärtige Situation das eigentlich gar nicht rechtfertigt. Ich bin gerne unter Menschen, die feiern und Lebensfreude verbreiten. Die Quadrath-Ichendorfer sind keine Freunde von Traurigkeit. Aber auch in der Kirche können sie feiern, ob das Ostern ist oder ein Begräbnis. Sie sind mit dem Herzen dabei, und das gibt dem Leben Tiefe, auch in religiöser Hinsicht.
2. Dank an meine Vorgänger und Mitarbeiter
Ein zweiter Gedanke. Ich bin auch meinen Vorgängern zu Dank verpflichtet. Im Evangelium hörten wir das Wort: "Einer sät, und einer erntet. Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit." (Jo 4,38).
Vieles, was ich in diesen Gemeinden als reife Frucht geerntet habe, hatte nicht ich gesät, sondern einer meiner Vorgänger oder irgendwelche Mitarbeiter oder Ehrenamtliche ihrer Zeit. So gab es, als ich anfing, bereits organisierte ehrenamtliche Kräfte, die die Kinder auf die Erstkommunion und Jugendliche auf die Firmung vorbereiteten. Ich habe schon öfter betont, dass dieses Potenzial, das die Ehrenamtlichen darstellen, mit Gold nicht aufzuwiegen, geschweige denn mit Geld bezahlbar ist.
Bescheiden darf ich hinzufügen, dass auch ich gesät habe, zusammen mit den Kaplänen, Diakonen und Pastoralreferenten und den vielen, vielen Ehrenamtlichen. Ich vertraue darauf, dass diese Saat aufgeht und dass dann irgendwann einer die Aussaat auch ernten kann. Der Boden für das Saatgut des Christlichen ist in Quadrath-Ichendorf nicht schlecht, manches braucht seine Zeit, dafür ist die Frucht dann um so nachhaltiger. Aus meine fast zwanzigjährigen seelsorglichen Erfahrung in diesen beiden Gemeinden möchte ich Ihnen allen sagen: es war eine Freude, in Quadrath-Ichendorf Pastor gewesen zu sein. Dafür danke ich Ihnen.
3. Dank an Gott
Ein letzter Gedanke. Es ist grundsätzlich richtig, dass man seine persönliche Lebensgeschichte wie auch die beruflichen Erfahrungen von Gott her deuten darf. Das nehme ich für mich jedenfalls in Anspruch. Mein Platz als Pastor war hier, weil der liebe Gott und das erzbischöfliche Generalvikariat das so gewollt hatten. Das war für mich eine tolle Aufgabe und eine Herausforderung zugleich. Dafür bin ich sehr dankbar, dass mir diese Chance gegeben war. Wenn ich nun gehe, dann mache ich eine tiefe Verbeugung vor Ihnen allen, weil Sie mir ans Herz gewachsen sind, und vor dem lieben Gott, der es so gut mit mir gemeint hat. Meine Zeit ist abgelaufen. Eine neue Zeit beginnt, und ich wünsche mir und Ihnen, dass es wieder eine gute Zeit wird.
Amen.
Mit dieser Predigt habe ich mich am 31. August 2003 in Quadrath-Ichendorf in den Ruhestand verabschiedet.
Gal 5,1.13-18: Lasst euch nicht bevormunden! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Der Brief an die Galater gehört zu den bedeutendsten des heiligen Paulus. Nach seinem Weggang aus Galatien versuchen dort nämlich judenchristliche Prediger einer extremen Richtung, auch den Heidenchristen wieder die alten jüdischen Gesetzesforderungen aufzuerlegen wie z. B. die Beschneidung. Als Paulus davon erfährt, schreibt er diesen leidenschaftlichen Brief und macht den Galatern unmissverständlich klar, zu welcher Freiheit sie berufen sind. Es ist gewissermaßen die Proklamation der Freiheit des Christenmenschen - ein Text, der in der ganzen Kirchengeschichte, vor allem in der Reformation, Furore gemacht hat.
Dieser Text, den wir vorhin gehört haben, enthält drei Kernbergriffe, über die ich jetzt sprechen möchte. Es sind die Begriffe: Freiheit, Liebe und Geist. Sie hängen untrennbar miteinander zusammen. Sie gliedern zugleich meine Predigt.
Freiheit.
Paulus sagt sinngemäß: Lasst euch nicht bevormunden! Diese Entlassung in die Freiheit ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit. Denn damit widerspricht Paulus jenen Missionaren, die mit ihrer Gesetzesfrömmigkeit eine rückwärts gerichtete Theologie predigen. Es ist ein Richtungsstreit, der in aller Öffentlichkeit ausgetragen wird. Paulus argumentiert, dass das Gesetz eine Knechtschaft darstellt, gewissermaßen eine Fremdbestimmung, der unbedingt zu widerstehen ist. Zur Freiheit, zur Selbstbestimmung seid ihr berufen. Dass Freiheit auch missverstanden werden kann im Sinne des Fleisches, d.h. der Sünde, das erwähnt Paulus im Nebensatz, aber das ist kein Argument gegen die Freiheit als solche, die ein hohes christliches Gut ist.
Übrigens ist diese Thematik heute genau so aktuell wie damals. Denn es gibt in der Religion immer die Tendenz, sich mit gut gemeinten Gründen zu versklaven, sich Regeln und Gesetzen zu unterwerfen in der Meinung, darin das Heil zu finden. Zwei Beispiele: Um Mitglied in der Heilsgemeinschaft Kirche zu sein, muss man Kirchensteuern zahlen. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, gilt als Ausgestoßener, als Ungläubiger, als Apostat. Als ob man durch Zahlung von Kirchensteuern das ewige Heil erkaufen könne! Oder: Liturgische Vorschriften schreiben den Ablauf des Gottesdienstes so penibel fest, dass - würde man alles beachten - die Messe steif, langweilig und unlebendig wäre. Die ursprünglich freudige Zusammenkunft zum Lob Gottes und gemeinsamen Mahl steht heute unter Gesetzesvorschriften, die sogar den Teilnehmerkreis begrenzen. Wir sind heute in unserer Kirche weit davon entfernt, die Freiheit, die Paulus verkündet, zu leben. Wir vermissen sie nicht einmal.
Liebe.
Paulus sagt: "Dient einander in Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammen gefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (V. 13c.14). Die Liebe kommt aus dem Herzen, ist Ausdruck absoluter Selbstbestimmung, sie weiß, was jetzt und in diesem Augenblick für den Nächsten gut und richtig ist. Das aber kann kein Gesetz voraus wissen oder vor-schreiben. Das entscheidet allein das Herz, das liebt, und zwar ganz spontan. So wie Jesus aus Mitleid ganz spontan geheilt, Brot vermehrt, Sünden vergeben oder den Meeressturm beruhigt hat. Die Liebesethik steht im Gegensatz zur Gesetzesethik.
Viele Probleme gibt es heute in der Kirche, weil wir uns selbst versklavt haben: versklavt an die Tradition (was immer war, dürfen wir nicht ändern), versklavt an ein allzu wörtliches Bibelverständnis (in der Bibel aber steht geschrieben), versklavt an ein zu enges, weil zeitbedingtes Menschenbild. Die selbst angelegten Fesseln hindern die Kirche daran, dem Menschen heute gerecht zu werden. Darum kehren viele Gläubige ihr den Rücken. Sie sind deshalb nicht ungläubig. Sie sehen in der Kirche eher einen Verein der Traditionspflege, und manchmal schauen sie sich so ein Traditionsspektakel (Fronleichnamsprozession, Papstbesuch usw) gerne mal an, aber lebensgestaltende Impulse erwarten sie von ihr nicht mehr.
Geist.
Der dritte Kernbegriff in diesem Kapitel ist der Geist. Paulus sagt: "Lasst euch vom Geist Gottes leiten!" (V. 16). "Wenn ihr euch von Geist Gottes führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz" (V. 18). Der Geist Gottes bzw. der Heilige Geist ist sicher nichts Aufgesetztes, im Gegenteil: er bedient sich durchaus der menschlichen Vernunft. Was nach menschlichem Ermessen vernünftig ist, ist wohl auch nicht gegen den Geist Gottes. Also dürfen wir uns der menschlichen Vernunft bedienen, um die Probleme, die die Kirche heute ins gesellschaftliche Abseits gedrängt haben, zu lösen. Fragen wir doch ruhig mal: Welches Argument spricht eigentlich dagegen, dem Priestermangel zu begegnen durch die Zulassung von Verheirateten und Frauen zur Priesterweihe? Wir haben uns an Bedingungen versklavt, die der Gesetzesfrömmigkeit zuzuordnen sind. Welche Argumente hindern uns, in der Ökumene einen mutigen Schritt aufeinander zu zu gehen? Der evangelische Kirchentag in Köln hat gezeigt, dass in der ökumenischen Frage auf katholischer Seite absoluter Stillstand herrscht. Und auf evangelischer Seite wird darüber nicht einmal Unmut geäußert. Man respektiert sich eben gegenseitig. Allerdings klingt der Respekt eher nach Resignation. Wir haben uns an ein Eucharistie- und Amtsverständnis versklavt, das keinen Ausweg zulässt. Dagegen sagt Paulus ausdrücklich: Ihr seid zur Freiheit berufen, in Liebe das zu tun, was der Geist Gottes euch über eure Vernunft eingibt. Danach ist eigentlich alles möglich.
Das 5. Kapitel des Galaterbriefes, aus dem wir heute einige Verse gehört und meditiert haben, gehört zu den ermutigenden Texten, die aus der heutigen Kirchenkrise heraushelfen könnten. Das Problem sind nicht die böse Welt, nicht die ungläubigen Gläubigen, sondern die Angst vor der Freiheit. Schade. Die Freiheit ist ein Geschenk Gottes, das wir nur anzunehmen brauchen.
Amen
Offg 21, 1-5a: Et bliev nix wie et wor (Prädig op Kölsch 2013) Wilhelm Weber
Leev Mädche un Junge vun Maye,
leev Fastelovendsjecke!
Ihr wisst et all:
Mer levve en ener knatschverdötschte Welt.
Et es verröck, wie flöck sich alles ändere deit!
Et bliev nix, wie et wor.
Dat kanns do am eige Liev erlevve:
Do luurs morgens en der Speegel un denks:
dat Geseech hätt jo kaum Ähnlichkeit mih
mit däm op dingem Pass.
Un dann stells do fass,
dat dä Pass zick Johre avgelaufe es.
Dä Bleck op dat Dokument säht dir:
Do existeers jo nit mih.
Do häs quasi ding Sterveurkund en de Häng.
Han ich nit Räch?
Et bliev nix wie et wor.
Denkt an de Foßgängerzon en Maye,
besonders an de Göbelstroß:
wann de do e paar Dag nit gewäs bes,
dann hät als widder e Geschäff zo gemaht.
Un wo jet neu opgemaht weed,
is dat entweder ene Lade met Billigklamotte
oder en Fressbud.
Han ich nit Räch?
Dat Einzige, wat in Maye zeitlos schön es
un wahrscheinlich noch en Hääd vun Johre glich bliev,
es de Chressdagsbeleuchtung en der Käänstadt.
Von sujet dräump de Welt.
Jet Schöneres kann mer sich üvverhaup net usmole.
Han ich nit Räch?
Doch wo de söns och hinluurs: Veränderunge, Veränderunge.
För e Beispill en der Gesellschaff:
Früher kome Schwule en der Bulles,
wann se ihr sexuelle Orientierung uslevve wollte.
Dat wor noch bes 1969 esu.
Dat die hüggzedags Levvenspartnerschafte engonn dörfe,
gitt et eesch zick zwölf Johr.
Dat es en rasante Veränderung em gesellschaftliche Levve.
Han ich nit Räsch?
Die Veränderunge maache ävver och vör der Kirch nit hald.
Mer steche medden dren en der Strukturreform,
un ehr all hat ald erläv, wat dat bedügg.
Da künnt ich mich stundenlang drüvver usloße -
maachen ich evver nit.
Denn de Kirch deit sich met Veränderunge ärg schwer.
Han ich nit Räch?
Veränderunge -
egal ov en der Kirch, en der Gesellschaf ov em Handel -
wääde von uns luuter wohrgenomme wie en Veränderung zom Schläächte.
Un dann heiß et:
"Fröher wor alles besser: de Kirch, de Seelsorge, de Schull, die Lehrer,
der Handel, de Moral, un die Pänz wore nit esu frackig,
un all woren se nit esu aansprochsvoll."
Die Zigge woren dem Geföhl noh einfach besser
und mer sehnt sich donoh zoröck.
Han ich nit Räch?
Ävver esu einfach es dat nit.
Veränderunge hät et zo alle Zigge gegovve,
und der Wandel es dat einzig Beständige en der ganze Geschichte,
och en der Kirchengeschichte.
Villeich ging dä Wandel fröher nit esu rösig vüran.
Sugar en der Bibel weed de domolige Gägenwart beklag
un - wie en der Lesung gehoot -
mit dem Trustwood kommenteert:
"Luurt, ich maachen alle neu."
Die Verheißung "Ich maachen alles neu" meint nit
"ich dun der aale Zostand wider herstelle".
Jet Neues soll weede: "luurt, ich maachen alles neu."
Et muss wigger vüraan gonn - un nit zorück.
De Kirch steiht vör dä Aufgab,
ihr Zokunf neu zo erfinge un zo erarbeide
und nit die ahl Zigge zorück ze holle.
Met andere Wööd:
De Piusbröder sin nit de Zokunf vun der Kirch;
dann dä konservative Krom höllt keine eine zurück.
Die Weiche in Rom müsse ömgelaht weede,
se müsse in Richtung Zokunf gestallt weede.
Un domet han mer alle Häng voll zo dun.
Han ich nit Räch?
Üvvrigens:
Wä dat, wat hügg alles ömgemodelt weed, nit richtig fingk,
dä darf sich trüste met dem Kölsche Grundgesetz Paragraf 5:
"Et bliev nix wie et wor."
Dat gilt eines Dags och för de Strukturreform,
wann se eesch ümgesatz un avgeschlosse is.
Dann solls do sinn, dat ich Räch han.
Wä hügg de Minsch erreichen will,
dä muss met der Zigg gonn.
Dann: "Wä nit met der Zigg geiht,
dä muss ... mit der Zigg gon" (Bernd Stromberg).
Ich bedanke mich för et Zohüre
un wünschen üch ne himmlische Fastelovend
met dreimal:
Maye Mayoh,
Maye Mayoh,
Maye Mayoh
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