Themen - Bibelstellen - Matthäus
Mt 3, 13-17: Du darfst sein Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die drei ersten Evangelien berichten übereinstimmend, dass Jesus von Johannes getauft wurde. Wir erfahren nicht, wie diese Taufe vonstatten ging. Offensichtlich gab es ein Taufritual der Täuferbewegung, der sich Jesus unterwarf. Es war auf keinen Fall eine Taufe auf den Namen des dreifaltigen Gottes. Das Ritual erfährt im Text dann aber eine einzigartige Deutung durch das nachträgliche Sich-Öffnen des Himmels, durch das Herabschweben der Taube (sie ist ein Symbol des Geistes Gottes) und durch die Stimme, die Jesus als Gottes geliebten Sohn bezeichnet, an dem Gott Gefallen gefunden hat. Das ganze Geschehen hat eine große symbolische Aussagekraft, die ich - gerade auch im Hinblick auf unser eigenes Taufverständnis - ein wenig aufschließen möchte.
1. Du darfst sein.
Gottes Stimme aus dem Himmel - man konnte sie sicher nicht mit den Ohren hören, sondern nur mit dem Herzen wahrnehmen - bezeichnet Jesus als den geliebten Sohn, auf dem Gottes Wohlgefallen ruht. Die Theologie sieht darin die Offenbarung der Gottessohnschaft Jesu. Diese wird auf späteren Konzilien weiter präzisiert und damit aber auch für einfache Gläubige leider etwas unverständlicher. Jesus, der Sohn Gottes, verliert an Nähe und Unmittelbarkeit. Ich stelle mir etwa vor, dass diese Stimme Gottes bei der Taufe eines jeden Täuflings sagt: "Du bist mein geliebtes Kind (Sohn oder Tochter), an dem ich Wohlgefallen habe." Kind Gottes zu sein mit dem Wohlgefallen Gottes ausgezeichnet spricht eine Daseinsberechtigung aus, wie sie fundamentaler und pauschaler gar nicht ausgedrückt werden kann. "Du darfst sein", mehr noch: "es ist gut, dass es dich gibt" und "ich, dein Gott und Schöpfer, habe Freude und Wohlgefallen an dir" ist die höchste Auszeichnung, die man sich überhaupt vorstellen kann. Das beruhigt jede Daseinsangst. Dass der Mensch (Sammelbegriff für alle Menschen), dass also alle Menschen Geschöpfe Gottes sind, ist im Alten Testament die erste grundlegende Aussage über das Gott / Mensch-Verhältnis. Und im Ritual der Taufe wird es jedem Einzelnen noch einmal persönlich zugesprochen.
Man beachte, dass dieses Wohlgefallen Gottes nicht nur die Getauften meint, sondern eben alle Menschen, weil alle Geschöpfe Gottes sind. Die Getauften haben den Nicht-Getauften nicht die Liebe Gottes voraus, sondern nur, dass sie darum wissen dürfen. Die Taufe soll ja aus den Getauften keine Heilsegoisten machen, sondern Hoffnungsträger für alle.
2. Du darfst sein - auch als Sünder.
Die zweite Botschaft der Taufe leitet sich aus dem Ritual selbst ab. Tauchen und Taufen sind sprachverwandte Begriffe. Die Taufe wird oft durch Untertauchen gespendet oder ähnlich und ist in jedem Fall ein Reinigungsritus. In dieser Symbolhandlung wird die Reinigung von Schuld und Sünde anschaulich gemacht. Schon Johannes der Täufer sprach ja von der Taufe zur Vergebung der Sünden. Gottes Antwort auf unsere Schuld ist eben immer die Vergebung, nie die Vergeltung - wie manche fälschlich behaupten. Nicht erst durch die Spendung des Taufsakramentes wird die Schuld vergeben, vielmehr macht die Taufe sichtbar, wie wir uns als sündige Menschen vor Gott verstehen dürfen: als Begnadete, als Gerechtfertigte. Schuld mindert unsere Daseinsberechtigung nicht; denn Gott, der uns liebt, kennt keine Vergeltung.
3. Du hast heiligen Geist.
Die dritte Botschaft der Taufe ergibt sich aus der Herabkunft des heiligen Geistes. Die Taube ist ihr Symbol und weist Jesus als den in besonderer Weise Geistbegabten aus. Aber auch das gilt grundsätzlich von jedem Menschen, dass der Geist Gottes über ihn ausgegossen ist. Was übrigens Katholiken mit dem Sakrament der Firmung ausdrücken, ist längst seit der Taufe - und schon vorher - Wirklichkeit. Wenn aber über jeden Menschen der Geist Gottes ausgegossen ist, dann kann grundsätzlich auch durch jeden Menschen der Geist Gottes zur Sprache kommen.
Geistgewirkte Rede nennt man auch prophetische Rede. Sie ist nicht dazu da, die Gewissen der Menschen zu beruhigen, sondern wie ein Stachel im Fleisch zu beunruhigen, zur Umkehr zu motivieren oder die Navigation der Lebensführung neu zu programmieren. Prophetische Rede wird in der Regel als störend empfunden: das war im alten Israel so, das ist im heutigen Kirchenbetrieb nicht anders. Ein Beispiel dazu: Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Jesuitenpater Klaus Mertes vom Berliner Canisius-Kolleg eine große Aufklärungskampagne der dort geschehenen Missbrauchsfälle in Gang gesetzt. Sie alle wissen, in welchem Ausmaß bis dato Missbrauchsfälle vertuscht worden waren. Hätte es diesen Pater mit seinem Mut zur Wahrheit und zur öffentlichen Wahrhaftigkeit nicht gegeben, wäre bis heute wahrscheinlich noch nichts geschehen, d.h. es wäre weiter verheimlicht worden, um das Ansehen des Klerus und der Kirche zu schützen - auf Kosten der Missbrauchsopfer. Die Kirche braucht Propheten, die der Wahrheit mehr verpflichtet sind als der sog. Loyalität zur Obrigkeit.
Wer die Symbolik der Taufe theologisch aufschließt, kommt zu ganz erstaunlichen Ergebnissen: der Mensch, der sich als Geschöpf Gottes versteht, hat ein Daseinsrecht und hat Heimat in dieser Welt; er braucht sich nicht zu grämen, wenn ihm nicht alles zu Besten gereicht, wenn er Fehler hat und persönliche Niederlagen hinnehmen muss. Trotzdem ist er berufen, für Gott und seine Wahrheit öffentlich Zeugnis abzulegen, sogar da, wo geweihte Häupter die Wahrheit vertuschen oder die Botschaft des Evangeliums durch Machtmissbrauch oder Lieblosigkeit verdunkeln. Die Kirche braucht Propheten - heute dringender denn je.
Amen.
Mt 4,12-17: Denkt anders über Gott! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Der heutige Evangelientext beginnt mit der beiläufigen Bemerkung, dass Johannes der Täufer ins Gefängnis geworfen worden war. Wenn man dann nachliest, was er wohl angestellt hat, stößt man auf seine Predigt. Die lautet: "Kehrt um! denn das Himmelreich ist nahe" (Mt 3,2). Und genau das predigt auch Jesus am Ende dieses Textes. Meinen beide dasselbe, wenn sie denselben Wortlaut verwenden? Man könnte es annehmen, und doch liegen Welten dazwischen.
Johannes nimmt das Wort "Kehrt um! denn das Himmelreich ist nahe" als Einleitung zu einer Strafpredigt oder Gerichtsandrohung. Er sagt: "Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entgehen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater& Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen" (Mt 3,7-10). Das ist harter Tobak. Es wird übrigens nicht gesagt, ob das der Grund für die Gefangennahme war. Auf jeden Fall erscheint Gott in der Predigt des Johannes als gnadenloser Richter und Verderber. Vor ihm kann man sich nur schützen durch einen tadellosen Lebenswandel, sonst flippt dieser Gott aus. Und wer ist schon ohne Sünde? Johannes der Täufer predigt also ein angstbesetztes Gottesbild.
Wie anders dagegen ist das Gottesbild, das Jesus verkündet, obwohl er dieselben Worte verwendet. Das griechische Wort für Umkehr ist "meta-noein" und heißt wörtlich übersetzt umdenken oder anders denken. Jesus gebraucht es im wörtlichen Sinn, will sagen: Denkt anders über Gott als die Menschen gemeinhin über Gott denken! Hier hat das Umdenken keine moralische Bedeutung, sondern eine theologische. Jesus sagt damit: Gott ist kein fürchterlicher Gott, kein Gott der Rache und des Verderbens, sondern ganz und gar Liebe. Gott ist frei geschenkte Liebe, die man sich weder durch gute Werke verdienen noch durch die Sünde verscherzen kann. Dieses ganz andere Gottesbild, zu dem sich die Menschen bekehren sollen oder umdenken sollen, können selbst die Evangelisten und die übrigen Briefeschreiber des Neuen Testaments nicht konsequent durchhalten. Immer wieder fallen sie ins alte Denken zurück und lassen Gott mit Gericht und Strafe und Rache drohen. So fest eingefahren sind die alten Denkstrukturen, auch unsere Denkstrukturen heute noch, dass wir alles Mögliche im Leben als Strafe Gottes deuten: Krankheit, Tod ("der Tod ist der Sünde Sold": Rm 6,23) oder persönliche Schicksalsschläge. Nein, Gott ist eindeutig gut, und seine Liebe zu den Menschen - zu allen Menschen - lässt sich nicht manipulieren, weder durch inständige Gebete noch durch liebloses Verhalten. Dabei ist zu bedenken, dass nach uraltem christlichen Glaubensverständnis alle Menschen als von Gott geschaffen angesehen werden und das Prädikat "sehr gut" erhalten haben; also nicht nur die Frommen oder die Katholiken oder die Christen ganz allgemein, sondern eben alle, egal wie gläubig sie sind in welcher Religion auch immer oder sich als ungläubig bezeichnen mit oder ohne Begründung. Gott liebt sie alle. Fertig, aus! - Leider bleibt der Eindruck, dass die Kirche in ihrer Theologie und Verkündigung dem Gottesbild verhaftet geblieben ist, von dem sich Jesus selbst losgesagt und alle eingeladen hat, es ebenso zu tun.
Ein letzter Gedanke: Warum ist dieses neue, von Jesus verkündigte Gottesbild so wichtig? Es ist deshalb so wichtig, weil Religion generell angstfrei erlebt werden kann und die Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes besser zur Geltung kommt. Es ist gewissermaßen ein emanzipiertes Gottesbild, das den Gläubigen aus so mancher Abhängigkeit entlässt und ihm die Freiheit schenkt, Verantwortung für sich selbst und die Welt zu übernehmen.
Amen
Mt 5,4: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Welch unglaubliche Umkehrung der Werte! Mir geht der Werbeslogan von Media Markt: nicht aus dem Sinn: "Hauptsache, ihr habt Spaß!" (Der frühere Slogan hieß: "Media-Markt. - Ich bin doch nicht blöd.") Spaß-haben als hauptsächlicher Lebenssinn. Das hat Media-Markt sehr geschickt den Zeitgenossen dieser Shoppinggeneration aus dem Gesicht gelesen. Und dann behauptet Jesus: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Wie passt das zusammen?
Es passt überhaupt nicht zusammen. Media Markt geht es um das Geld der Kunden. Die shoppen ein Bisschen Glück und haben ganz schnell wieder das Shopping-Glück vergessen. Jesus dagegen spricht von Erlösung. Den Trauernden wird Trostversprochen. Brauchen Media Markt Kunden keine Erlösung? Eigentlich schon, im tiefsten Herzen sehnen sie sich sogar danach, sie sind nur in den falschen Laden geraten; denn Erlösung ist etwas Anderes als Spaß-haben. Erlösung ist kein Produkt, sondern ein Wert, der das Leben verändert.
Spaß-haben ist nicht die Hauptsache im Leben. - Das Leben hat nicht selten sehr ernste Seiten, die selbst den ausgelassensten Spaßvogel traurig machen. Um diese Trauer geht es, in die ein herber Verlust selbst den professionellen Spaßvogel hineinziehen kann. Ich denke da an den Tod eines ganz nahe stehenden Menschen: an den Ehepartner oder Lebenspartner, an ein Kind oder einen Freund. Selbst Jesus hat geweint, als er vom Tod seines Freundes Lazarus erfuhr. Und wenn dieser plötzliche Tod eines nahestehenden Menschen dann noch durch besondere Umstände wie Unfall, Verbrechen oder Selbsttötung herbeigeführt wurde, bekommen Schmerz und Trauer noch mal eine ganz besondere Qualität. Diese Trauer kann man nicht einfach wegshoppen.
Jesus verspricht den Trauernden Trost. Was ist denn im Angesicht des Todes Trost, der wirklich tröstet? Vielleicht die Aussicht auf ein Wiedersehen nach dem Tod? Der christliche Glaube hat diesen Gedanken nie ausgeschlossen, vielleicht wurde er jedoch manchmal zu stark betont. Uns aufgeklärten Menschen fällt es jedenfalls schwer, daran zu glauben und in dieser Vorstellung Trost zu finden. - Eine andere Art des Trostes erfährt der alttestamentliche Ijob, der alles verloren hatte: seine Familie, seine Söhne, das Vieh und alles andere Hab und Gut. Nachdem er seinem Gott gegenüber die große Klage angestimmt hatte, aber dennoch nicht an Gottes Güte verzweifelt war, wurde ihm am Ende alles doppelt und dreifach neu geschenkt: das Hab und Gut, weitere Söhne und alles, was ihm vorher genommen worden war. Wird so Gottes Tröstung aussehen? Wir können es nicht glauben.
Tatsache ist, dass Gott uns in unserer Trostlosigkeit nicht alleine lässt; denn er will uns ja trösten. Das ist eine Zusage, auf die man sich verlassen darf. Aber wie soll das denn gehen? Wir brauchen uns nicht zu schämen, wenn wir eine schlüssige Antwort auf diese Frage schuldig bleiben. Dennoch: manchmal ist es so, dass Gott über Mitmenschen handelt und und durch ihre positive Ausstrahlung ungeahnte Kräfte zuwachsen lässt, die wir nie für möglich gehalten hätten. Oder manchmal mobilisiert der Trauernde auch selbst jene Kräfte, mit denen er seiner Trauer Herr wird und getröstet weiter lebt. - Die Wege Gottes sind unergründlich.
Aber auch das gibt es: dass der Trost ausbleibt und die Trauer ins Unermessliche wächst und die Traurigkeit übermächtig wird. Es kann dann dazu führen, dass die Verzweiflung Oberhand gewinnt und zur freiwilligen Beendigung des Lebens führt. Das geschieht wohl öfter als wir vermuten. Für den Beobachter ist das in der Regel mit einer großen Betroffenheit verbunden. Diese Betroffenheit macht kleinlaut und nicht selten stumm. Und das ist gut so. Denn wie könnten wir so etwas gerecht beurteilen?
Amen
Mt 5,4: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Welch unglaubliche Umkehrung der Werte! Mir geht der Werbeslogan von Media Markt: nicht aus dem Sinn: "Hauptsache, ihr habt Spaß!" (Der frühere Slogan hieß: "Media-Markt. - Ich bin doch nicht blöd.") Spaß-haben als hauptsächlicher Lebenssinn. Das hat Media-Markt sehr geschickt den Zeitgenossen dieser Shoppinggeneration aus dem Gesicht gelesen. Und dann behauptet Jesus: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Wie passt das zusammen?
Es passt überhaupt nicht zusammen. Media Markt geht es um das Geld der Kunden. Die shoppen ein Bisschen Glück und haben ganz schnell wieder das Shopping-Glück vergessen. Jesus dagegen spricht von Erlösung. Den Trauernden wird Trostversprochen. Brauchen Media Markt Kunden keine Erlösung? Eigentlich schon, im tiefsten Herzen sehnen sie sich sogar danach, sie sind nur in den falschen Laden geraten; denn Erlösung ist etwas Anderes als Spaß-haben. Erlösung ist kein Produkt, sondern ein Wert, der das Leben verändert.
Spaß-haben ist nicht die Hauptsache im Leben. - Das Leben hat nicht selten sehr ernste Seiten, die selbst den ausgelassensten Spaßvogel traurig machen. Um diese Trauer geht es, in die ein herber Verlust selbst den professionellen Spaßvogel hineinziehen kann. Ich denke da an den Tod eines ganz nahe stehenden Menschen: an den Ehepartner oder Lebenspartner, an ein Kind oder einen Freund. Selbst Jesus hat geweint, als er vom Tod seines Freundes Lazarus erfuhr. Und wenn dieser plötzliche Tod eines nahestehenden Menschen dann noch durch besondere Umstände wie Unfall, Verbrechen oder Selbsttötung herbeigeführt wurde, bekommen Schmerz und Trauer noch mal eine ganz besondere Qualität. Diese Trauer kann man nicht einfach wegshoppen.
Jesus verspricht den Trauernden Trost. Was ist denn im Angesicht des Todes Trost, der wirklich tröstet? Vielleicht die Aussicht auf ein Wiedersehen nach dem Tod? Der christliche Glaube hat diesen Gedanken nie ausgeschlossen, vielleicht wurde er jedoch manchmal zu stark betont. Uns aufgeklärten Menschen fällt es jedenfalls schwer, daran zu glauben und in dieser Vorstellung Trost zu finden. - Eine andere Art des Trostes erfährt der alttestamentliche Ijob, der alles verloren hatte: seine Familie, seine Söhne, das Vieh und alles andere Hab und Gut. Nachdem er seinem Gott gegenüber die große Klage angestimmt hatte, aber dennoch nicht an Gottes Güte verzweifelt war, wurde ihm am Ende alles doppelt und dreifach neu geschenkt: das Hab und Gut, weitere Söhne und alles, was ihm vorher genommen worden war. Wird so Gottes Tröstung aussehen? Wir können es nicht glauben.
Tatsache ist, dass Gott uns in unserer Trostlosigkeit nicht alleine lässt; denn er will uns ja trösten. Das ist eine Zusage, auf die man sich verlassen darf. Aber wie soll das denn gehen? Wir brauchen uns nicht zu schämen, wenn wir eine schlüssige Antwort auf diese Frage schuldig bleiben. Dennoch: manchmal ist es so, dass Gott über Mitmenschen handelt und und durch ihre positive Ausstrahlung ungeahnte Kräfte zuwachsen lässt, die wir nie für möglich gehalten hätten. Oder manchmal mobilisiert der Trauernde auch selbst jene Kräfte, mit denen er seiner Trauer Herr wird und getröstet weiter lebt. - Die Wege Gottes sind unergründlich.
Aber auch das gibt es: dass der Trost ausbleibt und die Trauer ins Unermessliche wächst und die Traurigkeit übermächtig wird. Es kann dann dazu führen, dass die Verzweiflung Oberhand gewinnt und zur freiwilligen Beendigung des Lebens führt. Das geschieht wohl öfter als wir vermuten. Für den Beobachter ist das in der Regel mit einer großen Betroffenheit verbunden. Diese Betroffenheit macht kleinlaut und nicht selten stumm. Und das ist gut so. Denn wie könnten wir so etwas gerecht beurteilen?
Amen
Mt 5, 13-16: Ihr seid Salz und Licht für die Welt! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Jesus sagt zu uns: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Das ist kein frommer Wunsch, dass es so sein möge, sondern eine Beschreibung der Wirklichkeit: Es ist so. Jesus fragt nicht, ob wir Salz und Licht für die Welt sein wollen, sondern er sagt: ihr seid es. Als Jünger Jesu nennen wir uns Christen. An unserem Tun erkennt die Welt unser Vorbild Jesus Christus.
Es gibt die vier Evangelien, aus denen wir Kenntnis über Jesus Christus haben. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes haben sie geschrieben. Doch es gibt noch ein fünftes Evangelium, das ist unsere Art zu leben. Aus diesem fünften Evangelium lesen die Menschen, wie tauglich die christliche Religion für die heutige Zeit und für die heutige Welt ist. Die kritischen Leser dieses fünften Evangeliums sind nicht nur die europäischen Mitmenschen, denen Christus bisher verborgen geblieben ist, nein, es sind vor allem Menschen anderer Religionen, häufig fromme Muslime, die das Evangelium lesen, das wir ihnen vorleben. - Übrigens ist das Vertrauen dieser fremden Menschen in unsere Religion sehr groß. Sie fliehen aus Gebieten, wo Krieg, Verfolgung, Korruption und Unfreiheit durch ihre angestammte Religion nicht aufgehalten werden können, und sie suchen Zuflucht bei uns Christen. Sie haben die Hoffnung, dass wir Christen ihnen Schutz bieten können vor Bomben, Verfolgung, Folter und Hungertod. Was in unseren Tagen gefragt ist, ist Gastfreundschaft, politisch nennen wir das Asyl.
Was in unseren Breiten selbstverständlich ist: Gastfreundschaft zwischen Partnerstädten, touristische Freizügigkeit, Frieden seit mehr als sechzig Jahren, das suchen Menschen, die die Flucht auf sich nehmen, bei uns. Wir haben aus dem Munde des Profeten Jesaia gehört: Teile an die Hungrigen dein Brot aus. Nimm die Obdachlosen Armen ins Haus auf. Wenn du einen Nackten siehst, bekleide ihn. Entziehe dich nicht deinen Schwestern und Brüdern. . . . Dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag. Wenn wir das tun, leben wir das Evangelium. Es ist die Zeit und es sind die Umstände, die uns diktieren, was zu tun ist.
Amen.
Mt 5,37: Identität ist gefragt Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die Bergpredigt geht uns alle an: den Priester nicht minder wie den Laien. Daher: die Predigt, die ich Ihnen heute halte, habe ich längst zuvor mir selber gehalten. Was mich an dem Text, den wir soeben gehört haben, am meisten beschäftigt, ist der letzte Vers: "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere ist vom Bösen." Was ist gemeint?
1. Nicht Moral ist gemeint.
Einige Christen, die sich für gut halten, sehen in diesem Wort eine verschärfte moralische Haftung für das einmal gegebene Ja-Wort. Also: Wer z. B. bei der Eheschließung sein Ja verpfändet hat, ist für alle Zeiten daran gebunden; es gibt dann kein Nein mehr und kein Zurück. Oder ein anderes Beispiel: ein Priester, der bei seiner Priesterweihe sein Adsum (d. h. "hier bin ich") gesprochen hat, ist an das Amt wie an die daran geknüpfte zölibatäre Lebensform ein für allemal gebunden. Einmal Ja gesagt heißt dann: immer wieder Ja sagen. Der liebe Gott erscheint derweil als der große moralische Knüppel. Wehe, wenn einer ausschert und es wagt, sein Ja zu widerrufen und in ein Nein zu verwandeln. Der moralische Druck ist so unbarmherzig, dass ein Irrtum bezüglich des einmal gegebenen Ja gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Faktisch wird damit auch die Fortentwicklung der Persönlichkeit ausgeschlossen. Wer sich nicht beim Wort nehmen lässt, ist kein Jünger Jesu. - So die Moralisten.
Ich kann diese Auslegung der Bergpredigt nicht teilen. Wie viel Selbstgerechtigkeit steckt in einem solchen gesetzlichen Denken? So war Jesus nicht. Im übrigen: Kann es nicht sein, dass einer in eine Ehe schliddert, nur weil andere ihn dahin drängen? - aus Verantwortung, versteht sich. Vielleicht wegen einer Schwangerschaft, vielleicht aus Mitleid, vielleicht aus irgendeinem anderen Grund - nur nicht aus persönlicher Zuneigung und Entscheidung. Andere hatten es so gewollt: der wohlmeinende Vater, die besorgte Oma, der strenge Pastor, nur nicht der oder die Betroffene selber. Und nun soll die Zeche bezahlt werden - lebenslang. Eine Zeche, die nicht seine oder ihre ist. - Ähnliches gilt vom Priester. Kann es nicht sein, dass einer in den zölibatären Priesterberuf flüchtet, weil er hier seine womöglich kirchlich zu verantwortende sexuelle Verklemmtheit mit einer göttlichen Aura umgeben kann? Was für ein Gott, der den Menschen auf seine Unreife oder seine psychische Fehlentwicklung für alle Zeiten festlegen wollte! Was für ein Gott, dem das Gesetz wichtiger wäre als das Heraustreten des Menschen aus seiner Unmündigkeit und Fremdbestimmtheit!
2. Identität ist gefragt.
"Euer Ja sein ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen." Dieses Wort ermutigt zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung, es verbietet geradezu jede Außensteuerung. Ich will es in der Ich-Form sagen: Ich bin nicht die Marionette meiner Eltern, nicht die Marionette der Kirche oder des Papstes, nicht einmal die Marionette des lieben Gottes, sondern ich bin ich, von Gott zur Freiheit berufen. Kein Über-Ich oder Außer-Ich hat über mich zu bestimmen, sondern ich selber. Genau das ist gemeint mit dem zitierten Wort aus der Bergpredigt: dein Ja sei dein ureigenstes Ja, und dein Nein sei dein ureigenstes Nein, alles andere ist böse. Das angemahnte Ja und Nein bezieht sich auf identisches Handeln, zu dem wir berufen sind. Man kann nämlich zu einem gegebenen Wort nur dann stehen, wenn man zuvor gelernt hat, selbständig zu sein, d. h. in der eigenen Persönlichkeit festen Stand zu haben. Wer die Bergpredigt anders versteht, unterstellt ihr eine Vergewaltigungssprache. In Wirklichkeit aber spricht das Evangelium die Sprache der Befreiung. Das also will Gott: das in Freiheit und aus eigener Überzeugung gesprochene Ja und Nein. Das und nur das hat vor Gott und den Menschen Geltung.
3. Aber die Konsequenzen.
Ich bin mir der Konsequenzen bewusst, die in dieser Auslegung stecken können. Ich fürchte sie nicht. Ich fürchte sie weder für mich noch für Sie. Aber ich befürchte, dass die Kirchenleitenden diese Freiheit des Evangeliums nicht wollen und deshalb weiterhin der Moral das Wort reden. Jesus war kein Moralist, sondern ein Freiheitskämpfer. Und darum ist es wohl wichtiger, die Freiheit einzuüben als sich der Moral zu versklaven. Denn nur die frei verantwortete Moral verdient diesen Namen.
"Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein." Wenn man davon ausgeht, dass die Bibel zuallererst ein Glaubensbuch ist und nicht eine Morallehre, dann sagt uns die Bergpredigt: Du bist von Gott her berechtigt, selber Ja und Nein zu sagen, und zwar endgültig, d. h. mit letzter Gültigkeit. Und alle Ja-Worte, die nicht aus dieser Freiheit, sondern aus Angst und unter Druck irgendwelcher Autoritäten gesagt wurden, sind grundsätzlich revidierbar. Es müsste der Kirche und ihren Seelsorgern in der Verkündigung ein Anliegen sein, zur Entfaltung der Persönlichkeit aus einem freimachenden Glauben beizutragen und eine Kultur der Freiheit zu entwickeln, anstatt mit moralischen Appellen die Ängste vor dem Verderben zu schüren. Ich für meine Person werde jedenfalls nicht müde, immer wieder an die Freiheit zu erinnern, die die christliche Botschaft zu einer frohen macht.
Amen.
Mt 5, 38-48: Von Gewaltlosigkeit und Feindesliebe Wilhelm Weber
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Was wir soeben gehört haben, ist ein Text aus der Bergpredigt über Gewaltlosigkeit und Feindesliebe. Der Zuhörer, der mit beiden Beinen im Leben steht, wird vielleicht sagen: "So kann man gar nicht leben." Er wird wohl eher sagen: "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt." Wir alle halten es wohl eher mit dem Leitsatz: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!" Diese Einsicht hat Kulturgeschichte geschrieben, die Gewaltlosigkeit eher nicht.
Dennoch gibt es überzeugende Beispiele gewaltfreien Lebens, wozu nicht zuletzt Jesus selber gehört. Er setzt sich seiner Verhaftung nicht zur Wehr; dem Petrus, der mit dem Schwert dreinschlagen möchte, befiehlt er, das Schwert wegzustecken. Stumm wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, lässt Jesus den Prozess über sich ergehen. Und als Jesus am Kreuz hängt, betet er noch für seine Peiniger: "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Jesus selbst lebt vor, was er in der Bergpredigt fordert: Feindesliebe und Vergeltungsverzicht.
Gerade in der Neuzeit hat es ebenfalls gelegentlich sehr beeindruckende Persönlichkeiten gegeben, die diese Ideale der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe in ihrem Leben umgesetzt haben. Ich erinnere an Mahatma Gandhi, an Martin Luther King und andere. Sie haben den Mut gehabt, Zeichen zu setzen gegen jene Gewalt, die eigentlich immer an der Tagesordnung ist. Allerdings sind sie auch Opfer dieser Gewalt geworden. Die Kraft der Liebe in ihnen war stärker als Angst und Furcht vor dem Tod. In solchen Menschen scheint etwas von jener göttlichen Vollkommenheit auf, von der Jesus spricht: Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Gewaltlosigkeit und Feindesliebe sind (nur) eine Strategie gegen das Böse.
Es gibt auch andere Strategien gegen das Böse, und zwar auch in der Bibel. Gelegentlich hat selbst Jesus andere Töne angeschlagen. Seine Predigt gegen die Scheinheiligkeit der Pharisäer ist alles andere als versöhnlich und verständnisvoll. Und Paulus ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, Ordnung in die Gemeinden zu bringen. Und im Alten Testament heißt das Prinzip nicht selten "Aug um Auge, Zahn um Zahn". Die Bergpredigt ist allerdings in weiten Teilen eine Korrektur alter Friedensstrategien. "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist… Ich aber sage euch…" Es gibt also nicht die eine richtige und die anderen falschen Strategien, um Frieden in der Welt zu schaffen, sondern jede Situation verlangt ihre Strategie. Situationsethik nennt man so etwas. Und Jesus verspricht sich viel davon, dass Gewaltverzicht und Feindesliebe tatsächlich gute Impulse sein können, um die Welt zum Guten zu verändern. Es ist wie in der Erziehung: Kluge Eltern wissen sehr genau, welche Strategie sie bei der Erziehung ihrer Kinder in welcher Situation erfolgversprechend anwenden müssen. Mal ist es die Strenge, mal die Milde, die zu einem guten Ergebnis führt. Ein Restrisiko bleibt immer. Aber damit müssen wir leben.
Amen.
Mt 6, 24-34: Lebt richtig! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Der heutige Evangelientext gehört zu den schönsten und tiefsten Worten, die uns von Jesus überliefert sind. Sie stehen unter der Überschrift: "Niemand kann zwei Herren dienen - Gott und dem Mammon." Das ist zu Menschen gesagt, die ihr Leben buchstäblich zersorgen, als wären Geld und Reichtum, Schmuck und Wertgegenstände die Schlüssel für das Gelingen des Lebens. Diesen Menschen erklärt Jesus in wunderschönen Bildern und Vergleichen, worauf es wirklich im Leben ankommt. Es ist eine kleine Philosophie der christlichen Lebenseinstellung. Für mich persönlich ergeben sich aus diesem Text drei wichtige Einsichten. Und die möchte ich Ihnen jetzt mitteilen.
1. Lebet den Augenblick!
Es gibt viele Menschen, die plagen sich von morgens bis abends und fühlen sich als Sklaven der wirtschaftlichen Zwänge. Da muss der Lebensunterhalt stimmen, auch ein bisschen Luxus soll sein, kleine Rücklagen sind notwendig (es könnte ja mal ein Notfall eintreten), fürs Alter muss man heute sowieso selber vorsorgen und und und. Aber das eigentliche Leben wird vertagt: auf den Ruhestand oder auf den Feierabend oder auf den Urlaub. Das Leben ist dann deutlich zweigeteilt: in den sinnlosen Arbeitsprozess, der die Bedingungen für das eigentliche Leben sicherstellen soll, und das eigentliche Leben, das aber erst in ferner Zukunft oder im Feierabend sein wird. Wie schnell kann es da passieren, dass das sog. eigentliche Leben völlig aus dem Blickwinkel gerät und das Sklavendasein überhand nimmt. Ja, es gibt Menschen, die sind nur noch auf Gelderwerb aus, abhängig von der Arbeit wie ein Alkoholiker vom Alkohol. Workholiker nennt man so einen. Das eigentliche Leben findet nicht statt: weder im Feierabend noch im Ruhestand. So kann man nicht leben, meint Jesus. Das Leben insgesamt muss einen durchgehenden Sinn haben. Da ist jeder Augenblick wichtig, soll jeder Augenblick als wertvoll und sinnvoll angesehen und gelebt werden.
2. Macht euch nicht zu viele Sorgen!
Jesus veranschaulicht an den Beispielen der Lilie auf dem Feld und den Vögeln des Himmels, dass Gott für seine Geschöpfe sorgt. Er sorgt also auch für den Menschen, der deshalb gar keinen Grund hat, sich in den Sorgen ums Alltägliche zu verlieren. Jeder von uns weiß, dass Glück und Zufriedenheit, dass Geborgenheit und Lebenssinn Werte sind, die man für Geld nicht kaufen kann oder die automatisch mit dem Einkommenszuwachs ebenfalls wachsen. Gewiss braucht der Mensch das Lebensnotwendige, und das soll er sich auch erarbeiten. Aber hier ist vor allem das Gottvertrauen angesprochen. Gott wird schon dafür sorgen, dass wir alle Tage satt werden.
Zugegeben: so kann man nur reden zu Hörern, die in einem gewissen Wohlstand leben. Weltweit machen viele Menschen die gegenteilige Erfahrung, dass nämlich Gottvertrauen allein nicht satt macht. Doch wer so zum Gottvertrauen animiert, steckt in der Pflicht, durch eigenes Tun zu zeigen, dass das Vertrauen auf Gott kein leeres Versprechen ist. Christentum ist schließlich keine Gottestheorie, sondern eine Lebenspraxis. So hat ja auch Jesus seiner Predigt durch entsprechende Taten Glaubwürdigkeit verliehen.
3. Sucht vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit!
Was ist das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit? Es ist das, was uns heil macht. Denn unser Leben ist Stückwerk, auch wenn wir es noch so sorgfältig planen, auch wenn wir noch so aufrichtig lieben und vorbildlich leben. Es gibt Dinge im Leben, die bringen wir nicht zusammen. Warum gibt es Naturkatastrophen, die Tausende von Menschen dahin raffen, oft die Ärmsten, die ohnehin nichts vom Leben hatten? Warum gibt es Krankheiten, die ja nie als Strafe Gottes verstanden werden dürfen. Das verbietet uns unser Gottesbild. Warum trifft ausgerechnet mich das Schicksal, das mein Leben zerstört? Warum gibt es Tod und nicht nur Leben? Fragen über Fragen, die unser Weltbild, ja sogar unser Gottesbild sprengen.
Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit sind das, was uns heil macht. Diese Offenheit für das Unmögliche, dieses Ur-Vertrauen, dass alles gut wird, diese Hoffnung, dass allem ein letzter Sinn eingestiftet ist, auch wenn wir ihn nicht erkennen, das nennen wir Glauben. Nicht an Wunder im Hier und Jetzt glauben wir, sondern an eine Versöhnung der Zeit mit der Ewigkeit, an eine Versöhnung des Todes mit dem Leben, an eine Versöhnung des Schmerzes mit der Freude. Wie? Das wissen wir nicht. Aber an die Möglichkeit eines allumfassenden Sinnzusammenhangs zu glauben, das heißt das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit ins Leben zu holen.
Es geht uns nicht anders als Jesus: sein grausamer, gewaltsamer Tod lässt an allem Lebenssinn dieses Gutmenschen zweifeln, aber seine Auferstehung macht uns ahnen, dass doch Sinn möglich ist. Ich bin davon überzeugt, dass unser Leben gelingt, wenn es offen ist für Gott, den unbekannten, den unberechenbaren. Er kann unser aller Leben mit all den vielschichtigen Problemen zu einem großartigen Puzzle zusammensetzen. Und wir werden staunen - wenn wir´s denn erfahren - wie wunderbar Gottes Fügungen waren, die wir als Zumutungen erleiden mussten. Ich glaube an diesen Sinn in meinem Leben.
Amen.
Mt 7,21-27: Schinghellige sin messrodene Hellige (Prädig op Kölsch 2011) Wilhelm Weber
Leev Mädcher un Junge vun Maye,
leev Fründinne un Fründe us Berghem,
leev Fastelovendsjecke!
Wat is dat schön,,
dat mer widder all zosamme sin.
Mer han us lang nit gesinn, - stimmp et?
An mer hät et nit geläge.
Un no well ich üch jet sage üvver dat Evangelium,
dat ich grad vörgelesse han.
Dat wor quasi der Schlussakkood vun der Bergprädig:
. Dot ein för alle Mol dat, wat ich üch gesaht han!.
Originalton vun usem Här.
Matthäus, dä us dat ganze Spill üvverlivvert hät,
muss wohl ne gode Grund gehatt han,
en singer Gemeinde Klartext zo spreche.
Denn nit alles, wat en der Jesus-Gemeinde fromm doher kom,
wor och en ech fromm.
Et gov evvens och Schinghellige . wie hüggzedags och.
Schinghellige sin Lück,
die hinge nit esu sin, wie se vörre schinge.
Vörre gonn die met fromm Spröch hauseere . Här, Här.
un hingeneröm dun se ander Lück avzocke
un sich selver en Rötsch Privilegie en der Sack sorge.
Han ich nit Rääch?
Esu hät neulich uns Landesregierung der Sonndag neu entdeck.
Die deit no aal chresstliche Wääte verteidige.
Av sofort darf sonndags keine Trödelmaat mih avgehalde wääde.
Sonndagsrauh, basta!
Esu mobiliseert mer chrestlich-konservative Wähler.
Öm die geiht et nämlich en drei Woche,
wann der Landtag neu gewählt weed.
Leiddragende sin die klein Lückcher,
die sich met dem Trödel luuter e paar Nüsele nevvenbei verdeene kunnte.
Dat es nu vorbei!
Is dat nit ärg schinghellig?
Wä wirklich dä Sonndag rette well,
dä muss en Maria Laach aanfange.
Do kannste jeden Sonndag enkaufe:
Botter, Eier, Kies,
Obs un Gemös,
Fleisch un Woosch,
Planze, Blome un Kaktusse,
jede Menge Böcher un ander Gedöns.
Dat es die benediktinische Sonderform vun Sonndagsheiligung.
Han ich nit Rääch?
A propos Schinghellige.
Et einzig Echte an däjinnige es ehr Falschheit.
Ne Schinghellige kanns de do dran erkenne,
dat hä sich luuter üvver ander Lück entröste deit:
üvver denne ehr Aat zo levve,
üvver denne ehr Aat ze gläuwe,
üvver denne ehr Aat Puute groß ze trecke un esu wigger.
Die ständige moralische Entröstung
is der Helligesching vun de Schinghellige.
Ganz am Rande kann ich et üch jo verrode:
unger de Schinghellige is dä ein dem andere singe Deuvel.
Schinghellige sin missrodene Hellige!
Han ich nit Rääsch?
Üvverigens:
En jeder Gemeinde gitt et e paar Schinghellige, ävver nor e paar:
sage mer 0,5 Promille.
Dat sin im Pastur singem Großrevier vun 9000 Katholike .
loss mich üvverläge . vier un e half.
Kennt Ihr die vier un e half,
die he frei erömlaufe?
Ich kenne die,
ävver ich han se hee hügg noch nit entdeck.
Ich vermute mol,
dat die sonndags luuter en St. Clemens en de Fröhmess woren.
Nu hätt der Pastur die Mess vor kootem ersatzlos gestriche,
un zwar us Mangel an& & näh, nit wat ihr meint,
us Mangel an Kirchenbesuchern.
Pastur, han ich nit Rääch?
Am Engk vum Evangelium steiht dat bekannte Dubbelgleichnis:
dat Gleichnis vum Huusbau.
Einmol es et stabil, hält alem stand,
un et andere Mol krach et en sich zosamme
Dat stabile Huus, op Fels gebaut,
meint die, die dun, wat der Häär sage deit.
Dat Levvenshuus vun denne hät vörm Hergodd Bestand.
Ävver die ärm Schinghellige,
die för sich selvs un för ander Lück en dubbelte Moral han,
die han kein Chance vörm Herrgodd.
. Ich kennen üch nit. , krige die zo hüre.
Wat ben ich fruh,
dat mer vun dä Zoot he nor vier un e half han.
Amen . Mayoh
Mt 9, 9-13: Barmherzigkeit statt Opfer Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Es gibt Bibeltexte, die sind ungeheuer provokativ. Das soeben gehörte Evangelium ist so ein Text. Nach der Berufungsgeschichte des Zöllners Matthäus sagt Jesus: "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer". Was ist gemeint?
1. Opferpraxis in allen Religionen
In fast allen Religionen finden wir die Praxis, dass die Gläubigen ihrem Gott oder ihren Göttern Opfer darbringen: die ersten Früchte des Feldes, Jungtiere oder andere Gaben, die einen besonderen Wert darstellen. Man will damit zum Ausdruck bringen, dass Gott eigentlich alles gehört und dass man ihm diesen Besitzanspruch auch nicht streitig machen will. Manchmal hat das Opfer auch den Sinn, die erzürnte Gottheit zu besänftigen und gnädig zu stimmen. In anderen Fällen soll das Opfer Zeichen der Sühne für begangene Schuld sein. Eine extreme Form des Opfers ist das Menschenopfer. Abraham z. B. fühlte sich vor Gott verpflichtet, seinen einzigen Sohn Isaak auf einem Altar zu opfern wie ein Stück Vieh. Lang und ausführlich wird im Buche Genesis Kap. 22 das Vorbereitungsritual beschrieben, wobei das Opfer selber in die Vorbereitung eingebunden ist. Erst im letzten Augenblick kommt es durch Gottes Einschreiten nicht zur Tötung, sondern zu einer Ersatzhandlung. Ein Stier wird statt Isaak geopfert. Man darf davon ausgehen, dass Menschenopfer damals durchaus üblich waren.
2. Jüdisch-christliche Kritik am Opfer
Erstaunlich ist folgendes: obwohl die Opferpraxis in Israel mit dem Tempelkult fest verankert und geregelt ist, gibt es zugleich deutliche Kritik am Opferkult. Der Fall Isaak macht unwiderruflich klar, dass es Menschenopfer auf gar keinen Fall geben darf. Aber auch der übliche Opferkult wird schon von den Propheten hinterfragt. Bei Hosea (8. Jh. v. Chr.) etwa lesen wir die Jahwe-Worte: "Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer" (6,6). Oder bei Jesaja (Trito-Jesaja), der das Fasten als besondere Form des Opfers sehr kritisch sieht, lesen wir: "Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht: wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem Herrn gefällt? Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Joches zu entfernen, die Versklavten frei zu lassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell vernarben" (58,5-8a). Also: Opfer in Form der Selbstkasteiung und des Fastens will Gott nicht, wohl aber Werke der Barmherzigkeit und Nächstenliebe.
Von Jesus selbst ist nicht bekannt, dass er irgendwann im Tempel geopfert hätte. Sehr wohl bekannt ist dagegen Jesu Einschreiten gegen eine Opferpraxis, die mit unerträglichem Geschäftsgebaren verbunden ist. Er jagt nämlich die Händler aus dem Tempel. Statt zu opfern heilt Jesus im Tempelbezirk Lahme und Blinde (Mt 21,14). Genau das ist gemeint mit dem aus Hosea zitierten Wort Jesu: "Liebe und Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer." Für diese Haltung steht die Berufung des Zöllners Matthäus und die anschließende Tischgemeinschaft mit vielen Zöllnern und Sündern. So ist es richtig, will Jesus sagen.
3. Fragen, die sich ergeben
Wie konnte die spätere Theologie den Tod Jesu erneut als Opfer interpretieren und deuten? Als wenn Gott durch die Sünde des Menschen so beleidigt gewesen wäre, dass es eines Menschenopfers, nämlich seines eigenen Sohnes, bedurft hätte, um wieder versöhnt zu werden!? Was ist das für ein Gottesbild! Man denkt unwillkürlich an Abraham und an das göttliche Verbot, Menschen zu opfern. Ein ausgesprochen schlechtes Interpretationsmodell. Gänzlich unverständlich ist dann in der Folge die Bezeichnung der Eucharistiefeier als unblutige Erneuerung des blutigen Opfers am Kreuz. Und wir sprechen vom Messopfer, ohne gedanklich noch wahrzunehmen, was wir da sagen. Diese Vorstellungen waren zur Zeit ihrer Entstehung schon problematisch; heute sind sie überholt und gehören korrigiert. "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer", sagt Jesus.
Aus der Berufung des geächteten Zöllners und der Forderung Jesu nach Barmherzigkeit ergeben sich noch viele weitere Fragen. Jesus hebt Ausgrenzungen einfach auf - sehr zum Ärger der Pharisäer. Er tut es nicht in der Hoffnung, dass die Zöllner und Sünder später werden wie die Pharisäer, nein, jede Ausgrenzung ist unmenschlich und gehört deshalb korrigiert. Das können wir uns alle hinter die Ohren schreiben: ich, Sie und die ganze Kirche. "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer", sagt Jesus.
Amen.
Mt 9,36-10,8: Jesu Auftrag zur Seelsorge Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Wenn es irgendwo im Neuen Testament einen eindeutigen Auftrag zur Seelsorge gibt, dann eben hier im Matthäusevangelium. Jesus hat die müden, erschöpften, verwahrlosten Menschen vor Augen, die wie Schafe sind, die keinen Hirten haben. Mit ihnen hat Jesus Mitleid. Und darum schickt er die Zwölf zu ihnen mit dem Auftrag: Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Und lasst die Menschen spüren: das Himmelreich ist euch nahe! Das ist ein klarer Auftrag zur nachgehenden Seelsorge. Es geht um den helfenden und heilenden Beistand für Menschen, die in schwierigen Grenzsituationen ihres Lebens Hilfe brauchen. Dass solche Seelsorge personalintensiv ist, weiß schon der Evangelist, weshalb er ausdrücklich anempfiehlt, den Herrn der Ernte um Aussendung möglichst vieler Erntearbeiter zu bitten.
Die Beschränkung auf die "Schafe des Hauses Israel" entspricht dem Horizont des Matthäus, der als Jude für Judenchristen schreibt und die Heidenvölker noch nicht im Blick hat.
Die Kirche versteht sich zu Recht als Nachfolgerin der Zwölf und hält den Seelsorgeauftrag auch für sich verpflichtend. Es ist kritisch zu fragen, ob die Kirche diesem Auftrag heute gerecht wird.
Sie wird es nicht!
Zwar ist die seelsorgliche Befindlichkeit der Menschen heute keineswegs anders - sie sind müde, erschöpft, verwahrlost, orientierungslos, allein gelassen, krank, vereinsamt, ausgegrenzt, zum Teil lebensuntüchtig - aber die Kirche gibt sich zufrieden mit immer weniger Seelsorgern und rechtfertigt den Mangel als Gottes Willen. Das ist ein Verrat am Evangelium. Der Mangel liegt nämlich darin begründet, dass man die falschen Bedingungen für die Zulassung als Erntearbeiter stellt. Notwendige Eigenschaften für einen Seelsorger oder für eine Seelsorgerin wären: die Fähigkeit auf Menschen zuzugehen; sie zu ermutigen, ihr Schicksal selber zu wenden; Orientierung oder auch Führung anzubieten; Ausgrenzungen aufzuheben; lebenstüchtig zu machen. Mit dem im Christentum verankerten Menschenbild ist das kein Unterfangen. Stattdessen stellt die Kirche als Bedingung für den priesterlichen Dienst: Männlichkeit und Bereitschaft zur Ehelosigkeit - als wenn Weiblichkeit und Ehe für den priesterlichen Dienst disqualifizierten! Solche Bedingungen sind dem Evangelium fremd.
"Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden." Die Kirche sieht in dieser Aufforderung, möglichst viel um Priesternachwuchs zu beten. Aber damit ist das Problem nicht zu lösen. Es ist geradezu rührend, was in den Generalvikariaten an Werbung für Priesternachwuchs und Berufe der Kirche fabriziert wird. Entsprechend ist der Erfolg. "Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden" heißt nicht, unaufhörlich zum Himmel zu schreien; es heißt vielmehr, unüberhörbar Seelsorgerinnen und Seelsorger anzumahnen beim Herrn der Ernte in Rom. Eigentlich wäre das die Aufgabe der Bischöfe, die vor Ort den Seelsorgenotstand kennen und in Rom nach Lösungen suchen müssten, anstatt ihn als Gottes Fügung schön zu reden.
Meine Kritik ist hart, aber nicht härter als das Evangelium. Es ist für mich der Maßstab, an dem kirchliches Handeln zu messen ist, und wird es hoffentlich immer bleiben.
Amen.
Mt 10,26-33: Fürchtet euch nicht! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Ein Evangelium gegen die Furcht! Ich zitiere noch einmal:
"Fürchtet euch nicht vor den Menschen" (V. 26a)! Dann: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann" (V. 28). Und dann noch einmal: "Fürchtet euch also nicht" (V. 31 a)! Jesus hat die Menschen nicht das Fürchten gelehrt, sondern die Furchtlosigkeit.
Was ist gemeint?
Jesus fordert dazu auf, dass keiner aus seinem Herzen eine Mördergrube machen soll. Sprich: Wovon einer überzeugt ist, das soll er auch öffentlich sagen. Denn das Verhüllte soll er enthüllen und das Verborgene bekannt machen (vgl. V. 26 b und c). Und weiter: "Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was ich euch ins Ohr geflüstert, das verkündet von den Dächern" (V. 27)! Jesus kalkuliert ein, dass der so Handelnde auf Widerspruch stößt. Das ist nicht nur nichts Schlimmes, es ist vielmehr gewollt. Jesus fordert gewissermaßen zur Provokation auf. Und wer so handelt, darf sicher sein, dass der Herrgott ihm den Rücken stärkt. Das ist die Botschaft des Textes.
Was hat Jesus für ein Menschenbild?
Ein hochmodernes! Er verkündigt das Bild eines aufgeklärten, emanzipierten, mutigen Menschen, der weiß, was er
will, und sagt, was er für richtig hält. Jesus selbst hat´s ja vorgelebt. Und der Evangelist sagt´s noch mal im
Klartext für die Jesus-Nachfolger. Das Gegenteil von dem, was Jesus verkündigt, wäre der Duckmäuser, der Feigling,
der Opportunist, der immer nur sagt, was ihm Nutzen bringt. Wenn Sie so wollen: Jesus will die Persönlichkeit mit Rückgrat.
Was können wir lernen?
Wir müssen nach diesem Evangelientext leider erkennen, dass es heute bei weitem mehr Opportunisten und Feiglinge gibt als wirkliche Persönlichkeiten - in der Politik, im Betrieb und leider auch in der Kirche. Die Leute, die eine begründete eigene Meinung haben und diese auch öffentlich und vor Vorgesetzten vertreten, sind eine ganz kleine Minderheit. Entsprechend werden sie getreten, psychisch fertig gemacht und wie Schachfiguren aus dem Spiel genommen. Doch wer so behandelt wird, soll wissen, dass Jesus und der himmlische Vater ihm den Rücken stärken. Dieses Evangelium ist die Proklamation des emanzipierten Menschen. Es geht nicht nur um den Mut, den christlichen Glauben vor den unchristlichen Menschen zu bekennen. Es geht um den sogenannten kleinen Mann, der das Recht hat, vor Königen und Kaisern, vor Chefs und Kirchenoberen seine begründete Meinung zu sagen und vor Repressalien nicht zurückschrecken soll. - Ich würde mir wünschen, dass wir in Politik und Gesellschaft, in Betrieben und auch in der Kirche mehr Persönlichkeiten von dieser Art hätten.
Amen.
Mt 11, 28-29: Wo nichts ist, da wohnt keiner Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Es gibt ein Sprichwort, das sagt: "Wo nichts ist, da wohnt keiner." Dieses Sprichwort erinnert man dann, wenn man unverhofft erfährt, dass jemand schwer erkrankt ist oder dass eine Ehe zerbricht oder Kinder aus dem Ruder laufen oder jemand arbeitslos geworden ist oder jemand alkohol- oder medikamenten- oder drogenabhängig geworden ist oder jemand einen Schwerstkranken pflegt oder, oder, oder. Wo nichts ist, da wohnt keiner. Mit anderen Worten: Hinter jeder Hausnummer leben Menschen mit mehr oder weniger Problemen, und jeder hat sein Päckchen zu tragen. Die meisten Lasten und Belastungen bleiben jedoch im Verborgenen, und nur durch Zufall erfährt man das Eine oder Andere.
Wenn Jesus sagt: "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen" (Mt 11,28), dann hat er genau diese Menschen im Auge, die ich gerade angesprochen habe: Menschen, die nicht wissen, wie es weitergehen soll, die am Ende ihrer Kraft sind, die nicht mehr können. - Jesus sagt nicht: ich werde euch die Lasten abnehmen. Er sagt nicht: es ist alles halb so schlimm, wie ihr meint. Nein, der Einladung an alle Beladenen, zu ihm zu kommen, fügt er die Verheißung an: "Ich werde euch Ruhe verschaffen." - Wie denn?
Das sagt der nächste Vers: "Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele." Das Joch ist nicht die Last, schon gar nicht eine Last, die Jesus auferlegt. Ein Joch ist ein Zuggeschirr, mit dem zwei Ochsen vor einen Wagen oder Pflug gespannt werden. Joch ist auch eine Schultertrage, mit der Körbe und Eimer getragen werden, also eine Transporthilfe für Träger. Das ist ein Bild, das gedeutet werden will. Denn es handelt sich ja im Wesentlichen um seelisches Leid, das die Menschen tragen müssen. Und was ist mit der Transporthilfe gemeint? Jesus sagt: "Lernt von mir!" Er trägt seine Last mit Güte und Demut (= Mut zum Dienen). In der Sprache Jesu aber sind Güte und Demut Aspekte der Liebe. Jesus meint, dass beim Tragen der Lebenslasten die Liebe eine ungeheure Hilfe sein kann. Diese Tragehilfe (die Liebe) macht die Last buchstäblich er-träglich. Sie schenkt dem Träger sogar Ruhe für die Seele.
Ein Beispiel: Vor kurzem lernte ich eine Frau kennen, über 70 Jahre alt, die seit fünf Jahren ihren schwerst demenzkranken Mann zuhause pflegt. Der Kranke erkennt keinen mehr, ist zu keiner emotionellen Regung fähig, wird künstlich ernährt und bedarf der Rundumpflege 24 Stunden am Tag. Auf die Frage, wie sie das schaffe, antwortete die Frau: "Er ist doch mein Mann. Ins Heim gebe ich ihn nicht." Wie heißt es im 1. Korintherbrief (Kap. 13)? "Die Liebe prahlt nicht, bläht sich nicht auf, erträgt alles, hält allem stand." - Das meint Jesus mit der Tragehilfe "Joch" : Güte, Demut, Liebe.
Amen.
Mt 13, 1-9.18-21: Wider die Resignation Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, enthält das Gleichnis vom Sämann und die Deutung dieses Gleichnisses. Zwischen dem Gleichnis und der Deutung gibt es im Originaltext noch einen längeren Abschnitt, den ich weggelassen habe, wo Jesus auf die Jünger-Frage eingeht, warum er überhaupt in Gleichnissen zu den Menschen rede. So haben wir nur zwei Texte gehört: das Gleichnis und die Deutung. Beide Texte sollten wir strikt auseinander halten. Warum? . das werden Sie sehen, wenn ich gleich beide Texte nacheinander erkläre.
Das Gleichnis.
Es ist ein Bild aus der Landwirtschaft. Der Bauer streut den Samen aus. Und nun werden vier einzelne Samenkörner wie mit einer Zoom-Kamera eingefangen und beobachtet. Das Ergebnis kennen Sie: aus drei Samenkörnern wird nichts, aber das vierte Korn bringt reiche Frucht - vielleicht hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach. Und dann kommt die Aufforderung: "Wer Ohren hat, der höre!" Wir haben alle zwei Ohren und haben gehört, aber die meisten haben wohl mehr gehört als das Gleichnis, weil wir zugleich mit dem Gleichnis auch die Deutung schon im Ohr haben. Doch wollten wir beides voneinander trennen.
Das Gleichnis für sich genommen ist ein wunderbares Bild gegen die Resignation. Es will sagen: es kann gar nicht alles gelingen. Und deshalb macht auch keiner dem Bauern einen Vorwurf, dass er etwa nicht sorgsam genug mit dem Samen umgegangen wäre oder dass er bei der Aussaat besser hätte aufpassen müssen, dass ja keine Körner dahin fliegen, wo sie nicht gedeihen können. Jesus meint: so ist es in jedem Leben. Es gelingt nicht alles. Und das ist auch nicht schlimm. Es reicht, wenn nur etwas von dem gelingt, was wir uns vorgenommen haben. Und wie der Bauer im Gleichnis nicht resigniert, weil da etwas auf dem Feld nicht aufgeht, sondern sich an der reichen Frucht der anderen Körner freut, so sollen auch wir im Leben nicht resignieren, wenn mal etwas schief geht, sondern uns freuen an dem, was gelingt. Das Gleichnis ist eine unglaubliche Ermutigung zum Leben. Wie der Optimist ein zur Hälfte gefülltes Glas als halbvoll bezeichnet und nicht wie der Pessimist als halbleer, so sollen wir uns freuen am Gelungenen und nicht resignieren, wenn etwas misslingt. Das ist typisch Jesus: er erklärt die Lebenswirklichkeit und ermutigt zum Leben, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Jesus will sagen: Nehmt das Leben an, wie es ist, mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Erfolgen und Misserfolgen, mit Gesundheit und Krankheit, mit Ehre und Verachtung, sogar mit dem Tod. Übrigens war das ja auch die Einstellung zum Leben, die Jesus selbst vorgelebt hat. Ihm war die höchste Anerkennung und Verehrung durch die Menschen so vertraut wie die tiefste Erniedrigung; Tabor und Golgotha gehören zusammen. Doch an ein endgültiges Scheitern seines Lebens und seiner Sendung konnte er nicht glauben, weil er auf die unendliche Liebe Gottes vertraute. Und die lässt keinen im Stich, auch nicht im Tod. Zu diesem Gottvertrauen will Jesus ermutigen, und dann wird alles gut - manchmal erst im Tod oder durch den Tod.
Die Deutung.
Wie anders ist der Geist, der aus der Deutung des Gleichnisses spricht. Da gibt es moralische Seitenhiebe am laufenden Band. Da weiß ein Dreimalkluger, wie alles zusammenhängt und woran der Misserfolg liegt. Das atmet nicht den Geist Jesu, obwohl alles so erzählt wird, als hätte Jesus es gesagt.
Wahrscheinlicher ist, dass die Deutung des Gleichnisses von Gemeindeleitern jener Zeit stammt, als das Evangelium aufgeschrieben wurde. Die hatten nämlich ihre liebe Last, die Gemeindemitglieder - besonders die neuen - bei der Stange zu halten. Die Anfangsbegeisterung war groß, aber dann gab es doch Vorbehalte. Und dann wird in der Verkündigung schon mal übers Ziel hinausgeschossen wie immer, wenn sich eine Krise anbahnt. Da gibt es dann die Guten und die, die nichts taugen; die Erwählten und die Verworfenen; die Geretteten und die Verdammten. Nicht jede Auslegung des Wortes Gottes würde Jesus als authentisch unterschreiben - weder damals noch heute. Zum Glück hat er selber nichts Schriftliches von sich gegeben, sondern darauf vertraut, dass die Seinen von ihm weiter erzählen. Aber es ist schon etwas gewagt, jedes Wort der Bibel unbesehen als "Wort Gottes" zu bezeichnen.
Wir halten uns am besten an das Gleichnis selbst. Und das besagt, dass nicht alles im Leben gelingen muss. Aber wer so liebt wie Jesus und so auf Gott vertraut, wie er es getan hat, dessen Leben kann gar nicht misslingen. Und auch das ist klar: Jesus ist unser Vorbild, das wir nie einholen können. Muss auch nicht; der ernsthafte Versuch reicht.
Amen.
Mt 13,24-30: Seid tolerant zueinander! Wilhelm Weber
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Der Sinn dieses Gleichnisses ist ganz einfach. Unkraut rupfen ist verboten, weil man damit oft mehr kaputt macht als richtig. Und da es sich um ein Gleichnis handelt, muss das Bild gedeutet werden. Und dann heißt das: Ihr sollt euren Eifer nicht darin zeigen, dass ihr stets das Böse oder was ihr für das Böse haltet, verurteilt oder zu verhindern sucht, sondern ihr sollt tolerant sein und die Beurteilung ob gut, ob böse ob richtig oder falsch Gott überlassen Der wird´s am Ende schon richten. Es ist nicht eure Aufgabe, den Sittenrichter zu spielen.
Hätten wir in der Vergangenheit nach diesem Grundsatz gelebt, dann wäre z.B. mancher Familienkrach vermieden worden. Dann wäre dem Sohn von seinen Eltern die Freundin nicht mies gemacht worden oder der Tochter der Freund oder dem schwulen Sohn der Partner. In solchen Fällen sagt der Kölner in seiner toleranten Art ganz richtig: et is wie et is un et kütt wie et kütt. Denn Besserwisserei bringt immer Ärger, nie Segen. Sie selber werden Beispiele genug in ihrem eigenen Leben finden, wo sie manchmal besser den Mund gehalten hätten und so viel Ärger vermieden hätten.
Aber nun stellen Sie sich mal vor, die Kirche hätte als Institution nach diesem Grundsatz gehandelt. Der ist ja auch für sie verbindlich. Dann hätte es keine Kreuzzüge gegeben, keine Hexenverbrennungen, keine Inquisition, keine Glaubenskriege und Küng, Drewermann, Hasenhüttel und Imbach z.B. wären heute noch im Dienst der offiziellen Kirche. Es ist schon ernüchternd, wenn wir unser eigenes Verhalten oder das der Kirche insgesamt an den grundlegenden Maßstäben, die Jesus verkündet hat messen. Erschütternd ist es allerdings, dass die Verurteilungen, die ja ständig und massenhaft in der Kirche verbreitet werden, von uns gar nicht mehr als gegen das Evangelium verstoßend empfunden werden.
Warum hat Jesus eigentlich so ein Gleichnis in die Welt gesetzt? Ich denke, es ging ihm nicht nur um etwas mehr Toleranz. Vielleicht wollte er damit anschaulich machen, wie Gott mit uns umgeht. Gott hält auch uns nicht zurück, wenn wir Böses planen. Und selbst die Kirche, die ja mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittensachen daherkommt, wurde in der Geschichte von Gott nicht daran gehindert, schlimmste Verbrechen zu begehen. Warum? Das weiß keiner. Das ist Gottes Geheimnis. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Gott greift überhaupt nicht in das Geschehen dieser Welt und auch nicht in den Lauf der kosmischen Abläufe ein. Wie sonst hätte der Tsunami 300.000 Menschenleben vernichten können? Wie sonst konnte Präsident Bush trotz unzähliger Friedensinitiativen und Friedensgebetsgruppen Krieg im Irak führen, wo unendlich viel Leid angerichtet wurde? Wie sonst können Kindesentführer und Kinderschänder ihr Werk treiben? Gott greift nicht ein.
Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem. Warum reagiert Gott nicht auf unser Bittgebet? Auch dann übrigens nicht, wenn unsere Bitten total bescheiden oder im Sinne der Kirche oder ganz einfach menschlich sind? Keiner von uns kann beweisen, dass Gott ihm je sein Bittgebet erhört hat. Er kann beweisen, dass er selbst das Geschehen als Gebetserhörung gedeutet hat. Aber dass das Gebet Ursache des Eingetretenen war, kann keiner beweisen. Er darf es glauben für sich ganz persönlich.
Das Gottesbild hat sich seit den Tagen der Bibel gewaltig verändert. Wir können uns nach all den Erkenntnissen der Physik, der Biologie wie der ganzen Naturwissenschaften Gott nicht mehr vorstellen als jemanden, der auf unsere Bitten hin ganze Kausalabläufe, nach denen die Welt und der ganze Kosmos funktionieren, außer Kraft setzt, um uns den einen oder anderen Gefallen zu tun. Alle Dinge haben ihre eigene Gesetzlichkeit, und Gott greift nicht ein.
Trotzdem ist er da. Er ist da als einer, der unsere Freiheit respektiert, der unsere Entscheidungen toleriert und uns zutraut, dass wir das Leben bestehen die schönen und angenehmen Seiten, aber auch die schweren, die er uns nicht erspart. Er ist da als einer, der uns liebt, wie ein Vater oder eine Mutter die eigenen Kinder liebt, auch wenn die Dinge tun, die sie als Eltern nicht verstehen können. Gott ist unendlich tolerant mit uns. Und so soll es auch unter uns Menschen zugehen. Das tut der Liebe keinen Abbruch, im Gegenteil: das ist Ausdruck der Liebe.
Amen.
Mt 13,44-46: Werde du selber! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Zwei Gleichnisse haben wir gerade gehört: das vom Schatz im Acker, den einer auf kluge Weise in seinen Besitz holt, und das von der kostbaren Perle, die ein Kaufmann entdeckt und für sich selber einkauft. Die Bildhälften sind anschaulich und verständlich. Doch als Gleichnisse meinen sie eine andere Wirklichkeit, nämlich das Reich Gottes. Und da beginnen die Verständnisschwierigkeiten.
Das Reich Gottes bzw. die Herrschaft Gottes ist nicht ein Reich irgendwo über den Wolken, auch nicht ein Reich, das erst nach diesem Leben eine Rolle spielt, sondern es meint das, was Gott jetzt will, in dieser Zeit, mit diesen oder diesem Menschen. Gemeint ist das, was wir in den Vaterunserbitten aussprechen, wenn wir beten: "Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden."
Was nun der Wille Gottes ist, das ist gar nicht so leicht herauszufinden. Wir haben uns in der Vergangenheit gerne auf das Lehr- und Hirtenamt der Kirche verlassen, um uns sagen zu lassen, was der Wille Gottes ist. Das ist manchmal gut so, aber eben nur manchmal. Denn die Kirche ist nicht identisch mit dem Reich Gottes und was sie anordnet, ist nicht gleichzusetzen mit dem Willen Gottes. Jeder Mensch hat in sich ein zwar nicht unfehlbares, aber verpflichtendes Gespür dafür, was er in seinem Leben als Wille Gottes umzusetzen hat. Wir können das auch Berufung nennen. Wenn einer seiner Berufung folgt, erfüllt er den Willen Gottes und wird dadurch er selber. Denn nur wer tut, wovon er überzeugt ist und wozu er sich innerlich verpflichtet fühlt, lebt und handelt identisch: nicht fern gesteuert durch vorgegebene Verbote und Gebote, sondern selbstbestimmt aus eigener Überzeugung.
Beim Wort Berufung denken wir gleich an geistliche Berufung und freuen uns, dass sich endlich mal wieder ein Mann oder eine Frau zum geistlichen Stand als Priester oder Ordensfrau hingezogen fühlt. Auf diese Berufungen warten wir jedoch zunehmend vergeblich. Indes gibt es Berufungen, für die in der Kirche kein Platz ist - wenn z.B. eine Frau dafür kämpft, dass auch sie etwa priesterliche Dienste übernehmen dürfe, oder wenn Verheiratete um ebendieses Recht kämpfen. Sie würden in ihren Bestrebungen voll diesen Gleichnissen entsprechen. Denn Berufungen gehen nicht immer konform mit dem in der Kirche Bestehenden, sondern Berufungen können das Bestehende durchaus auch stören und für Aufregung sorgen. Es gibt übrigens viele Fragen im kirchlichen Leben, wo tiefgläubige und kirchlich engagierte Leute für menschlichere und fortschrittlichere Lösungen kämpfen, also für Veränderungen. Nicht selten ist durch solche "Störenfriede" gesamtkirchliches Umdenken eingeleitet worden.
Fazit: Nicht Ruhe ist die erste Christenpflicht, sondern die leidenschaftliche Umsetzung des Evangeliums, wie der Geist Gottes es uns eingibt.
Amen.
Mt 14,13-21: Gebt ihr ihnen zu essen! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Es gibt nur wenige Wundererzählungen im Neuen Testament, die selbst dem heutigen, kritisch denkenden Menschen so leicht zugänglich sind,
wie das Wunder der Brotvermehrung.
Da sind weit über 5000 Menschen Jesus nachgegangen, um ihn zu hören, um geheilt zu werden oder um ganz einfach bei ihm zu sein. Es wird nicht gesagt, welcher Art die Erwartungen waren. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da brauchen alle was zu essen. Die Jünger verspüren den Hunger wahrscheinlich an erster Stelle. Sie haben auch gleich eine Lösung parat: jeder soll für sich selber sorgen. (Private Vorsorge würde man das heute nennen.) Doch Jesus antwortet auf diesen Vorschlag: "Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!" Und dann suchen sie zusammen, was sie haben. Es wird vorne und hinten nicht reichen. Fünf Brote haben sie und zwei Fische. Jesus nimmt das Wenige, das sie haben, spricht den Lobpreis, bricht das Brot, und die Jünger teilen aus. Alle werden satt, sogar zwölf Körbe voll bleiben übrig.
Gebt ihr ihnen zu essen! Teilt, was ihr habt! Das ist die Weisung Jesu. Und wer diese Weisung befolgt, erlebt wahrhaft ein Wunder. Es ist in der Tat mehr als genug für alle da. Es bleibt sogar noch etwas übrig. - Stellen Sie sich vor: alle Menschen, nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen, würden diese Weisung Jesu befolgen, und zwar weltweit; dann wäre das Problem des Hungers in der Welt gelöst. Zwar würden alle, und die Reichen an erster Stelle, sagen, es reicht nicht, eigentlich haben wir nur gerade genug für uns selber; doch wenn wir ernsthaft zusammenlegen würden, was wir haben, um mit allen zu teilen, wäre das Wunder perfekt - auch heute.
Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass in dieser Wundererzählung noch mehr an Wegweisung durch Jesus zu lesen ist. Zehn Kapitel vor dieser Geschichte zitiert Matthäus ein Wort Jesu, das wir alle kennen: "Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt" (4,4). Des Menschen Hunger ist umfassender als das Bedürfnis nach Essen und Trinken. Und wenn Jesus sagt: Gebt ihr ihnen zu essen! Dann ist damit sicher auch die Nahrung gemeint, die das Wort Gottes ist. Und diese Nahrung kann man nicht kaufen in irgendwelchen Geschäften. Von daher war der Vorschlag der Jünger: "Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen!" völlig daneben. Das Brot, das das Wort Gottes ist, gibt es immer nur umsonst, nie für Geld (auch nicht für Kirchensteuer).
Wunderbar passt daher die Lesung aus dem Profeten Jesaja zu diesem Evangelium:
"Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Auch wer kein Geld hat, soll kommen.
Kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld,
kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!
Neigt euer Ohr mir zu, und kommt zu mir,
hört, dann werdet ihr leben!" (55,1.3a)
Amen
Mt 16, 13-20: Zweideutiges Zeugnis Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die ersten drei Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) erzählen weitgehend dasselbe. Das Markusevangelium ist das älteste und kürzer als alle anderen. Matthäus und Lukas haben, als sie ihre Evangelien schrieben, den Text des Markusevangeliums offensichtlich gekannt, vielleicht sogar vieles abgeschrieben. Es ist nun interessant, die drei Evangelien miteinander zu vergleichen. Da sind die Übereinstimmungen bedeutsam, aber noch bedeutsamer sind die Unterschiede. Am Beispiel des heutigen Evangelientextes nach Matthäus möchte ich mal die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede darstellen und deuten.
Alle drei Evangelisten berichten, wie Jesus seine Jünger fragt: "Für wen halten mich die Leute?" Dann folgen die Antworten fast übereinstimmend: "für Johannes den Täufer, für Elias oder einen anderen Propheten." Dann fragt Jesus: "Für wen haltet ihr mich?" Da antwortet Petrus: "Du bist der Messias." Wir halten das für eine gute Antwort. Um so erstaunlicher ist die Reaktion Jesu: "Dann verbot er den Jüngern streng, irgend jemand zu sagen, dass er der Messias sei." Mit anderen Worten: Presst mich nicht in dieses Klischee, denn es ist falsch. In der Tat erwarteten die Juden damals als Messias einen politischen und militärischen Supermann, der die römischen Besatzer vertreiben und das alte Reich wiederherstellen würde. Damit aber wollte Jesus nicht gleichgesetzt werden. Wie gesagt: alle drei Evangelien berichten fast gleich lautend diesen Hergang. Einzig Matthäus schiebt nach dem Bekenntnis des Petrus, dass Jesus der Messias sei, ein großes Lob und die große Verheißung ein: "Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein." Nach diesen starken Worten ist es schier unverständlich, wenn es im nächsten Satz heißt: "Dann befahl Jesus den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Messias sei." Der ursprüngliche Zusammenhang ist gesprengt. Die Bibelwissenschaftler sprechen von einem späteren Einschub. Es stehen sich hier zwei unterschiedliche Messias-Bilder gegenüber: eines, mit dem Jesus nicht identifiziert werden will, weshalb er dessen Verbreitung verbietet, und ein zweites, an das Jesus die große Verheißung anfügt. Offensichtlich hatte Petrus in der Gemeinde des Matthäus eine besondere Bedeutung, und die sollte herausgehoben werden. Allerdings ist die Einpassung des Einschubs nicht sehr gelungen.
Diese starke Verheißung an Petrus an dieser Stelle des Evangeliums ist auch schon deshalb wenig glücklich, weil im selben Evangelium - nur drei Verse weiter (wir hören es am nächsten Sonntag) - Jesus zu Petrus sagt: "Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen." Das stimmt übrigens wieder haargenau mit der Vorlage des Markus überein. Es ging da um den Einwand des Petrus auf Jesu Leidensvorhersage. So etwas dürfe nicht eintreten, hatte Jesus gemeint.
Wir sehen: das Zeugnis des Petrus über Jesus ist im Matthäusevangelium ausgesprochen doppeldeutig. Bis heute weiß keiner, warum dieser Einschub mit der großen Verheißung an Petrus ins Matthäusevangelium gemacht wurde und wo sein eigentlicher Ursprung liegt. Es sind nur drei Verse, die allerdings Geschichte gemacht haben. Sie - und nur sie - wurden zur biblischen Grundlage einer sich im Laufe der Zeit immer mehr aufblähenden Papst-Idee (um nicht zu sagen: Papst-Ideologie). Aus diesen drei Versen wurden alle Vorzüge des Petrus bzw. des späteren Petrus-Amtes hergeleitet - angefangen vom Primat bis zur Unfehlbarkeit. Kein Wunder, dass evangelische Christen, die sich ja nicht minder der Bibel verpflichtet fühlen, im Papsttum der katholischen Kirche eine Überinterpretation der Verheißung an Petrus sehen. Und so bleibt das Papsttum eines der größten Hindernisse in den ökumenischen Bemühungen.
Um in der Ökumene weiter zu kommen, bedarf es der Klärung noch vieler Fragen, die sich aus dem heutigen Evangelientext ergeben. Ich will einige nennen:
1. Wie sieht das Messias-Bild aus, zu dem Petrus sich bekennt und das mit der großen Verheißung belohnt wird? Es ist offenbar nicht das Messias-Bild, von dem Jesus sich distanziert. Das herauszuarbeiten wäre ein überkonfessionelle Aufgabe der Bibeltheologie.
2. Die Verheißung Jesu gründet sich auf das persönliche Glaubensbekenntnis des Petrus. Ist damit schon die Gründung eines Petrus-Amtes für alle Zeit gegeben, die Gründung einer Institution, der ohne Bindung an einen persönlichen Glauben alle Verheißungen gelten? Um diese Klärung werden sich die Dogmatiker bemühen müssen; denn die Bibel gibt da keine Anhaltspunkte.
3. Hat Jesus mit der Verheißung "die Mächte der Unterwelt werden die Kirche nicht überwältigen" wirklich die Unfehlbarkeit eines institutionalisierten Papst-Amtes gemeint? Das lässt sich biblisch nicht klären. Da müssten schon die Kirchenhistoriker den Nachweis erbringen, dass päpstliche Entscheidungen in der Geschichte der Kirche tatsächlich immer unfehlbar waren. Und das wird schwer nachzuweisen sein.
Es wird in der Ökumene keinen entscheidenden Durchbruch geben, wenn sich die katholische Kirche in dieser Frage nicht bewegt. Ob sie sich bewegt, hängt auch von der Großwetterlage ab, wie viel Forschungsfreiheit und Lösungsideen in der Kirche zugelassen werden. Unter Papst Johanns XXIII. war die Großwetterlage günstig, heute ist sie es weniger. Aber das kann sich schnell ändern - so schnell wie Sonne auf Regen und der Frühling auf den Winter folgen.
Amen
Mt 17, 1-9: Verklärung: ein Traum gegen die Wirklichkeit Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Das Evangelium von der Verklärung Jesu klingt wie ein Traum. Man stelle sich vor: Jesus, der Wundertäter und Freund der armen Leute, spricht zu seinen Jüngern vom bevorstehenden Leiden und von seinem Tod. Und auch denen, die ihm nachfolgen, also die so leben und sein wollen wie er, verspricht er genau dasselbe: Leid und Kreuz und Tod. Das ist der Rahmen, in den hinein die Verklärung Jesu gestellt wird. Sie ist wie ein Traum, der ins Bild setzt, wie man sich Jesus eigentlich wünscht: als Lichtgestalt, durch den Vater bestätigt als Gottessohn, in enger Gemeinschaft verbunden mit den beiden Großen des Alten bzw. Ersten Testaments: Mose und Elia. Und dabei sein dürfen die Säulen der frühen Kirche: Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes. Das ist heile Welt - kein Leiden, kein Kreuz, kein Tod. Kein Wunder, dass Petrus da Hütten bauen will für die Großen der Vergangenheit und für Jesus. Domestizieren möchte Petrus sie und festhalten für immer. Doch als Jesus sie anrührt, ist der Traum aus: kein Glanz mehr, kein Gloria, kein Licht, aber viel Schatten. Die harte Wirklichkeit hat sie wieder eingeholt. - Es gibt Augenblicke der Ahnung von einer heilen Welt, aber diese Augenblicke spiegeln nicht die Realität. Die ist immer anders: grausamer, brutaler.
Es gibt ähnliche Erfahrungen im privaten Leben oder auch in der Kirchengeschichte. Ich will zwei benennen:
1. Beispiel.
1958 stand ich ein Jahr vor meinem Abitur und war voll damit beschäftigt, welchen Beruf ich einmal ergreifen sollte. In diesem Jahr wurde ein neuer Papst gewählt: Johannes XXIII. Ein Jahr später am 25. Januar 1959, das war einige Wochen vor meinem Abitur, kündigte dieser Papst an, er werde ein Konzil einberufen. Das sollte die Kirche pastoral und ökumenisch erneuern. "Aggiornamento" (Heutigwerden) nannte er als Ziel. Allein schon diese Ankündigung fand in der ganzen Welt viel Beachtung. Nach dem Pontifikat Pius XII., der ein Aristokrat und Alleinherrscher war und eigentlich jeder Reform abgeneigt, wurde Kirche nun plötzlich interessant. Dieser neue Papst war wie eine Lichtgestalt: bescheiden, gütig, reformfreudig. Es kam zu einem weltweiten Dialog darüber, was in der Kirche wie geändert werden sollte. Als ihre Berater durften die Bischöfe Theologen mitbringen, sogar auch Laien. Andere christliche Konfessionen und andere Religionen waren als Beobachter geladen, mit denen auch geredet und diskutiert wurde. Es begann in der Kirche Frühling zu werden. Dieser kirchliche Aufbruch hat mich in der Wahl meines Berufes bestärkt. Es war eine Situation, ähnlich der, die im Evangelium als Verklärung geschildert wird. Hütten bauen wäre angesagt gewesen, um den Aufbruch in der Kirche zu domestizieren. - Heute wissen wir, wie es weiterging. Das Konzil hat vieles angestoßen und geändert. Aber die Nachfolger im Bischofs- und Papstamt haben die meisten Reformen wieder eingesammelt und den Traum von einer heutigen Kirche beendet. Hofiert werden jetzt wieder Gruppen, die das Konzil ganz ablehnen (wie die Piusbruderschaft) oder das Überwundene wieder einsetzen wollen. Küng und Ratzinger - fast gleich alt - waren hoffnungsvolle theologische Berater, mutig, weit blickend und reformfreudig. Küng ist es geblieben, Ratzinger hat sich während seiner steilen Karriere im vatikanischen Milieu ins Gegenteil verkehrt. Die Kirche ist heute in einem überaus bedauernswerten Zustand. Die "konziliare" Verklärung ist schon lange beendet. Die Ernüchterung war für viele groß.
2. Beispiel.
2010 war für die Kirche ein schmerzhaftes Jahr. Missbrauchsskandale, die jahre- und jahrzehntelang vertuscht worden waren, wurden aufgedeckt. Der Mut eines einzigen Pädagogen, jenes Jesuitenpaters Mertes im Canisianum in Berlin, hat den Stein ins Rollen gebracht. In der Eliteschule, die er leitet, hat er hin- und nicht weggeschaut und hat öffentlich gemacht, was dort in der Vergangenheit an sexuellem Missbrauch durch Priester und andere Pädagogen geschehen war. Und nun wurde überall nachgeforscht, übrigens auch in nichtkirchlichen Einrichtungen, und es kam Unglaubliches ans Tageslicht. Die Kirche verlor massiv an Ansehen, Autorität und Vertrauen. Es hat Kirchenaustritte gegeben wie seit der Nazizeit nicht mehr. Unser Trierer Bischof Ackermann wurde von der Bischofskonferenz beauftragt, alle kirchlichen Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und hat diese Mammutaufgabe gut bewältigt. (Dass er jetzt die einzelnen Missbrauchsopfer mit einer Geldsumme von höchstens 5000 ¬ abspeisen will, finde ich nicht gut. Aber das ist eine andere Sache.) In dieser Notsituation der Kirche hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch einen tabulosen Dialog in der Kirche angekündigt. "Wir werden über den Zölibat reden, wie wir über alles andere reden. Jedes Thema darf angesprochen werde." Das klingt wie die Ankündigung einer Tabor-Zeit in der Kirche. Doch inzwischen verlautet aus allen Ecken der Diözesanleitungen, dass der Zölibat auf gar keinen Fall in Frage gestellt werden dürfe. Es scheint, dass mal wieder eine Chance abgewürgt wird, bevor ernsthaft der Versuch einer Kirchenreform angegangen wird.
Es gibt gelegentlich Sternstunden in der Kirche, und es hat sie immer mal gegeben. Sie halten die Hoffnung hoch, dass es doch noch zu einer wirklichen Reform kommen könnte. Doch werden wir nie aus der irdischen Kirche ein himmlisches Jerusalem machen. Wie der Leidens- und Kreuzweg Jesu erst im Nachhinein, also im Osterlicht, als notwendig und sinnvoll erkannt werden konnte, so mögen wir vielleicht in der Ewigkeit mal erkennen, wie diese Kirche von ihren menschenverachtenden Gesetzen, von ihrer reformresistenten Sturheit und dem veralteten Welt- und Menschenbild erlöst werden kann. Trotzdem hoffen wir zutiefst, noch einmal einen wirklichen Frühling der Kirche und Frühling in der Kirche zu erleben.
Amen.
Mt 18, 15-20: Vom Umgang miteinander Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Die Texte des heutigen und des nächsten Sonntags gehören inhaltlich zusammen. Es geht um den Umgang miteinander in einer Gemeinde. Selten sind nämlich in einer Gemeinde alle ein Herz und eine Seele. Da gibt es Quertreiber, da gibt es Störenfriede, da gibt es Abweichler, da gibt es Sünder. Wie geht man mit ihnen um?
Im heutigen Text geht es um Abweichler, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Gleich zu Beginn nennt Matthäus den Sünder einen Bruder. Damit wird deutlich, dass der Quertreiber oder Sünder durch sein Tun nicht aufhört ein Bruder zu sein. Am Anfang soll das Gespräch unter vier Augen stattfinden. Ziel ist es, den Bruder zurück zu gewinnen. Also: Gewalt ist ausgeschlossen, ausgeschlossen ist auch, gleich an die Öffentlichkeit zu gehen und öffentlichen Druck gegen den Bruder zu erzeugen; ebenfalls ausgeschlossen ist das Reden mit anderen über den Bruder, sondern das direkte Gespräch mit ihm ist das Beste. Wenn das nicht fruchtet, sollen Zeugen hinzu gezogen werden. Wenn das auch nicht zum Ziel führt, soll die Gemeinde eingeschaltet werden - offenbar mit Autoritäten, deren Wort und Ansichten etwas gelten. Diese Reihenfolge in der Beilegung eines Konfliktes klingt schon ganz modern und entspricht durchaus dem Niveau heutiger Konfliktforschung. Doch der letzte Schritt ist problematisch. " Hört er auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner." Zwar wird es in der Praxis oft so sein, dass man sich einfach trennt von dem, mit dem kein Auskommen ist; doch entspricht das nicht der Art Jesu. Vor allem sind im Umgang Jesu Zöllner und Sünder nie Ausgeschlossene, gewissermaßen Exkommunizierte. Vielmehr geht Jesus auf sie zu, hält mit ihnen Mahl, besucht sie zuhause - sehr zum Ärger der Frommen. Und auch die Heiden sind für Jesus keine Menschen, die man meiden sollte oder die als weniger wertvoll einzustufen wären. Im Gegenteil: in der Szene vom Weltgericht (Mt 25, 31-46) werden die Heiden wie die Gläubigen einzig nach ihren Werken der Barmherzigkeit beurteilt, nicht nach ihrem religiösen Bekenntnis. Und im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 25-37) stellt Jesus den Juden einen Heiden als Beispiel vor Augen, weil er unkompliziert hilft, wo Hilfe nötig ist. "Geh, und handle genau so!" sagt Jesus.
So modern diese Strategie der Konfliktbewältigung im heutigen Evangelium klingt, so sehr muss man daran zweifeln, dass es sich um ursprüngliche Worte Jesu handelt. Heiden und Zöller sind im Munde Jesu nie Negativbeispiele. Eher handelt es sich um ein ursprüngliches Wort des Matthäus, der - noch stark dem jüdischen Gesetzesdenken verhaftet - die Liebesbotschaft Jesu in ein Gesetz ummünzt. Liebe ist nämlich gesetzesuntauglich, will sagen: Liebe kann man nicht zum Gesetz erheben. Das wird deutlich im Evangelium des nächsten Sonntags, wo Petrus fragt: "Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben? Siebenmal?" Da antwortet Jesus: "Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig mal", und das heißt: immer, ohne Begrenzung. Liebe ist grenzenlos.
Die letzten beiden Verse des heutigen Evangeliums lauten: "Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Es handelt sich um zwei selbständige Sprüche, die man eigentlich so oder anders öfter finden kann. Sie sind gewissermaßen biblische Redensarten, die überall ein- oder angefügt werden können. In diesem Zusammenhang erinnern sie daran, dass die Einheit zwischen Menschen immer auch eine Einheit mit Gott bedeutet. Wer sich um Frieden und Einheit unter den Menschen müht, hat Gott auf seiner Seite. Das ist manchmal der einzige Trost beim undankbaren Geschäft des Schlichtens und Versöhnens.
Amen
Mt 18,15-20: Redet miteinander! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Sie haben das Wort noch im Ohr: "Wenn dein Bruder sündigt, dann gehe zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen" (18,15). Hört er aber nicht auf dich, so soll der Kreis derer, die sich darum kümmern, immer größer werden. Zwei Dinge werden hier angemahnt, wenn man an jemand etwas auszusetzen hat: 1. Gespräch miteinander und 2. die Absicht, den Bruder zu gewinnen. Was hier angesprochen wird, gilt ganz allgemein im Leben und ist nicht nur eine spezielle Christenpflicht. Aber auch Christen müssen eben gelegentlich an ganz profane und eigentlich selbstverständliche Umgangsformen erinnert werden.
1. Miteinander reden.
Die meisten Leute reden lieber übereinander als miteinander. Das ist nicht nur in der Kirche so, sondern das ist Alltag. Wenn man übereinander redet, dann ist man meist ungerecht. Dann hat man längst die Sache für sich entschieden, die Wahrheit zurechtgebogen und dem Anderen Böses unterstellt. Jesus sagt: Redet miteinander! Dann hat jeder die Chance, seine wahren Motive und Absichten darzulegen. Außerdem ist man im allgemeinen viel vorsichtiger mit Behauptungen und Beschuldigungen, wenn einem der Betroffene gegenüber steht und die Möglichkeit hat, ungerechte Beschuldigungen zurückzuweisen oder falsche Behauptungen zu korrigieren. Ein wirkliches Gespräch setzt Offenheit auf beiden Seiten voraus. Dann kann es durchaus sein, dass der Bedenkenträger im Unrecht ist und der sog. Sünder dem Evangelium näher steht als zunächst behauptet. Ein Gespräch ist niemals eine einseitige Belehrung, sondern Dialog, wo jeder zu Wort kommt.
Was ich sage, ist eigentlich eine totale Selbstverständlichkeit, und jeder Vater und jede Mutter wissen, dass sie mit ihren Kindern einen echten Dialog führen müssen, wenn sie miteinander klar kommen wollen. Und so ist es auch in der Kirche. Dialog ist gefragt.
Am Rande sei vermerkt: auch der Papst wollte mit der Jugend am Weltjugendtag ins Gespräch kommen. Ob das gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Ein Mittagessen mit zwölf ausgewählten Jugendlichen kann wohl nicht der große Dialog gewesen sein.
2. Die Absicht, den Bruder zu gewinnen, ist wichtig.
Man kann gegen den Dialog einwenden, es gehe um die Wahrheit, und die Wahrheit sei nicht verhandelbar. Wer so denkt, macht es sich zu einfach. Ich kann jemanden mit der sog. Wahrheit tot schlagen, ich kann ihn tief verletzen, beleidigen, bloß stellen. Aber genau das hat Jesus nicht angemahnt. Für ihn war es wichtig, Menschen zu gewinnen. Das zeigen sämtliche Geschichten von Jesu Umgang mit Zöllnern, Sündern, Dirnen, Betrügern und gesellschaftlich Geächteten. Er hat nicht nur großmütig vergeben, sondern er hatte ein Herz für diese Menschen. Und so hat er sie jenseits jeder Wahrheitsfragen mit der Liebe und Wärme seines Herzens gewonnen.
Übrigens: Ich glaube persönlich nicht, dass Jesus gesagt hat: "Hört er auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner" (18,17b). Im Gegenteil: Noch in diesem 18. Kapitel des Matthäusevangeliums (Sie werden es am nächsten Sonntag hören) spricht Jesus von der ständigen Vergebungsbereitschaft, die notwendig ist, damit Menschen überhaupt zusammen leben können. Keiner hat das Recht zu verurteilen, aber jeder soll großzügig vergeben. Nicht die Sünder sind das Problem, sondern die, die aus ihnen ein Problem machen.
Amen
Mt 18,21-35: Vergebt einander! Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Um die Vergebung geht es im heutigen Evangelium. Es ist uns meistens gar nicht bewusst, dass menschliches Zusammenleben ohne ständige Vergebung überhaupt nicht möglich ist. Wie oft bittet man um Entschuldigung, weil man jemanden vielleicht ohne Absicht - wortwörtlich oder auch im übertragenen Sinn - auf die Füße getreten hat. Daraus wird deutlich, dass wir im Kleinen wie im Großen ständig der Vergebung bedürfen und dass wir auch anderen vergeben müssen.
1. Wo sind die Grenzen der Vergebung?
Die Frage ist natürlich immer: Wo sind die Grenzen? Hat Vergebungsbereit-schaft nicht auch natürliche Grenzen? Auf diese Frage antwortet Jesus: Du sollst deinem Bruder nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal vergeben. Das heißt aber: immer, ohne Begrenzung. Das ist natürlich schwer nachzuvoll-ziehen. Und selbst Matthäus, der Evangelist, baut in seinem Gleichnis, das die Vergebungsbereitschaft eigentlich erläutern soll, die übliche Drohgebärde auf. Als nämlich der Knecht, dem alle Schuld geschenkt worden war, selber nicht bereit war, seinem Mitknecht die Schuld zu erlassen, wird er von seinem Herrn den Folterknechten übergeben, bis die ganze Schuld zurückgezahlt ist. Und dann die Drohung des Matthäus: "Ebenso wird der himmlische Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von Herzen vergibt" (V. 35). Mit dieser Drohung will er der Forderung Jesu nach gegenseitiger Vergebung Nachdruck verleihen - und übersieht dabei, dass er übers Ziel hinaus schießt. Damit hängt er Gott jene Härte an, die Jesus gerade überwinden wollte. Die Kommentare haben schon Recht: das letzte kann kein Wort von Jesus sein.
2. Welche sind die Bedingungen der Vergebung?
In der Schule haben wir im Religionsunterricht gelernt, dass Vergebung eigentlich Gottes Sache ist. Und das geschieht im Beichtsakrament. Diese einfache Mechanik nahmen unsere evangelischen Klassenkameraden zum Anlass, uns vorzuhalten, es wäre doch wohl zu einfach, im Bußsakrament von Gott Vergebung zu erlangen, ohne selber Schuld aufzuarbeiten oder selber anderen zu vergeben. Zugegeben - in der Beichte musste man Besserung versprechen, und nur unter dieser Voraussetzung war Vergebung zu erwarten. Es war gewissermaßen die Bedingung. Im Evangelium steht davon nichts. In der Gleichniserzählung schenkt der Herr seinem verschuldeten Knecht alle Schulden, ohne Bedingung. Was hätte er auch für Bedingungen erfüllen sollen? In den meisten Fällen ist Schuld sowieso nicht wieder gut zu machen. Da kann man nur einen Schlussstrich ziehen und es dabei bewenden lassen.
Das hat seinerzeit eindrucksvoll und medienwirksam Papst Johannes Paul II. getan, als er den, der auf ihn ein Attentat
verübt hatte, im Gefängnis besuchte, um ihm das Wort der Vergebung zu sagen.
3. Wer vergibt eigentlich?
Vergebung ist etwas, das sich unter Menschen abspielen soll. Am vergangenen Sonntag hörten wir das Wort: "Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein" (Mt 18,18). Das heißt doch: eure gegenseitige Vergebung hat Gültigkeit bis in den Himmel, bis vor Gott. Aber auch das gilt: Wenn ihr nicht vergebt, dann bleibt die Schuld offen - auch vor Gott. Es gibt nicht den billigen Weg der Vergebung, der euch erspart, was euer Anteil ist. So darf man übrigens auch das Wort aus dem Johannesevangelium verstehen: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, und wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert" (20,23).
Übrigens: wer vergeben kann, ärgert sich nicht zu Tode, er hat es leichter im Leben. Denn blinder Rechtsfanatismus und Vergeltungsdenken schaden der Gesundheit - bestätigt jeder Arzt und Apotheker.
Amen.
Mt 20, 1-6: Man muss och günne künne Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Das Gleichnis provoziert. Es fordert eine plausible Antwort auf die Frage: Was ist gerechter Lohn? Offensichtlich teilen die Hörer des Gleichnisses das Unbehagen: was hier abläuft, ist im höchsten Maße ungerecht. Aber fangen wir vorne an.
Am Anfang steht die Einigung des Gutsbesitzers mit den Arbeitern auf einen Denar pro Tag. Die theologischen Kommentare zu dieser Stelle betonen einstimmig, dass ein Denar Lohn für einen Tag Arbeit in damaliger Zeit durchaus angemessen war. Von einem Denar konnte die ganze Familie wenigstens einen Tag leben. Also: kein Hungerlohn, eher eine Art Mindestlohn. Der Eindruck des Unrechts entsteht erst am Ende des Gleichnisses, als nämlich die Arbeiter, die wesentlich kürzer gearbeitet hatten, den gleichen Lohn erhalten wie die, die den ganzen Tag geschuftet hatten. Erst der Vergleich der Lohnzahlungen macht das Unrecht offenbar.
Was hier verhandelt wird, ist modernste Problematik. In der Regel wird der Lohn für eine Arbeit vor Arbeitsbeginn ausgehandelt. Wenn dieser Lohn angemessen ist und berücksichtigt, dass eine ganze Familie davon leben muss, und wenn der vereinbarte Lohn am Ende auch wirklich gezahlt wird, bezeichnen wir das Lohnverhältnis als gerecht. Anders sieht das aus, wenn ein Arbeiter, der von einer Leiharbeiterfirma ausgeliehen wird, für dieselbe Arbeit weniger bekommt als der fest Angestellte. Das empfindet wohl jeder als ungerecht. Dagegen könnte man einwenden, der Leiharbeiter könne froh sein, überhaupt Arbeit zu haben. Doch der Vergleich der Bezahlung hier und dort macht die Ungerechtigkeit offenbar. - Das ist übrigens auch ein globales Problem. Wenn heute die westliche Textil- und Modeindustrie in Bangladesch für Niedriglöhne arbeiten lassen, dann schätzen wir zwar den Billigpreis im Laden, doch übersehen wir geflissentlich die ungerechten Löhne, solange wir daraus unseren Vorteil ziehen. Tatsächlich höre ich in diesem Zusammenhang gelegentlich, die Bangladescher sollten froh sein, dass sie überhaupt Arbeit haben. Wenn der Westen dort keine Aufträge erteilte, hätten sie gar keine Arbeit. (Wer so redet, macht sich wohl kein Gewissen daraus, dass er aus einem ungerechten Lohnverhältnis irgendwo auf der Welt seinen persönlichen Vorteil zieht.)
Natürlich arbeiten alles Gesellschaften daran, mehr Gerechtigkeit im Zusammenleben der Menschen zu erreichen. Die Einen propagieren daher den Mindestlohn, die Anderen fordern eine Grundrente bzw. eine arbeitsunabhängige Grundversorgung, um die Mindestkosten des täglichen Lebens abzusichern. Doch in beiden Konzepten übersieht man, dass der Vergleich mit anderen Löhnen und Einkommen Unrechtsempfinden weckt. Ich bin nicht der Meinung, dass deshalb der Mindestlohn überflüssig wäre (im Gegenteil!!), doch die Lösung des Problems ist er nicht.
Die Problematik, die in diesem Gleichnis angesprochen wird, betrifft nicht nur unser Sozialsystem, sondern enthält auch unsere Gerechtigkeitsprobleme, die wir mit dem lieben Gott haben. "Warum", so fragt mancher, "muss ich so leiden und anderen geht es gut? Warum verliere ich meinen Lebenspartner, während alle anderen (natürlich sind es nicht alle anderen!!) davon verschont bleiben? Warum bin ich vom Leben benachteiligt, während andere glücklich sind?" Natürlich wissen wir, dass wir Gott gegenüber keine Ansprüche haben und nicht einklagen können. Wir können um etwas bitten, aber nicht erzwingen. Das Problem, das sich aus dem Vergleich mit anderen ergibt, bleibt ohne Lösung.
Der Gutsbesitzer sagt am Ende zu seinen Kritikern: "Oder bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin?" Das scheint in der Tat die Kernfrage zu sein. Wenn ich nicht ertragen kann, wenn es anderen besser geht als mir, dann tötet der Neid die letzte Lebensfreude. Wohlgemerkt: jede Anstrengung, ein Bisschen mehr Gerechtigkeit ins Zusammenleben der Menschen zu bringen, ist positiv zu bewerten. Doch eine Gerechtigkeit, die keine Wünsche oder Probleme offen lässt, gibt es nicht. Am Ende muss man auch ertragen können, wenn man nicht an der Spitze der Erfolgreichen steht, wenn man nicht alles hat und sich alles leisten kann. Neid bringt s nicht weiter. Er ist ein schlechter Ratgeber fürs Leben. - Wie sagt der Kölsche? "Man muss och günne künne.
Amen.
Mt 21,28-32: Wer macht´s richtig? Wilhelm Weber
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Es erstaunt immer wieder - wenn man die Bibel liest, wie einfach und anschaulich die Bilder sind, die Jesus gebraucht, wenn er Grundlegendes über Gott und die Welt sagen will. Wir haben´s gehört: Zwei Söhne bekommen von ihrem Vater einen Auftrag. Der eine sagt ja und tut`s nicht; der andere sagt nein und tut´s letztendlich doch. Natürlich ist in den Augen des Lesers oder Zuhörers der zweite der bessere.
1. Die damalige Situation
Zum wem spricht Jesus diese Worte? Zu den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes. Sie waren diejenigen, die das Sagen hatten in allen religiösen Fragen, sie waren gewissermaßen die Berufsfrommen. Und mit ihnen hat Jesus immer im Klinsch gelegen. Sie waren die Ja-Sager, die zu ihrer Religion standen, sie nach außen vertraten und sie auch äußerlich erkennbar in Kleidung und Redeweise identifizierten.
Doch obwohl sie sich den ganzen Tag über mit religiöser Pflicht- bzw. Gesetzeserfüllung beschäftigten, war ihr Herz weit weg von Gott. Denn der will keine Frömmigkeitsakrobaten, sondern herzliche Menschen, die lieben können und helfen und anpacken, wenn´s nötig ist. Das war doch die Lektion, die Jesus mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter erteilt hatte. Aufs Herz kommt´s an, nicht auf zur Schau gestellte Frömmigkeit.
2. Übertragung ins Heute
Und heute? In der Tradition der Hohenpriester und Ältesten stehen heute vielfach jene Kirchenbeamten, deren Hauptsorge der Fortbestand der kirchlichen Institution ist. Schon in der Kleidung identifizieren sie die heilige römisch-katholische Kirche. Aber ihr Herz ist selten da, wo Jesus meint, dass es sein sollte: bei den Armen, bei den Kranken, bei den Benachteiligten, bei den sozial Schwachen, bei den Ausgegrenzten und Obdachlosen. Diese Kirchenbeamten - es sind sicher nicht alle - sind zu vergleichen mit jenen Ja-Sagern, die niemals da ankommen, wozu sie einmal ja gesagt haben. Sie sind keine Vorbilder des Glaubens.
Und dann gibt es jene, die nein sagen, und am Ende doch da sind, wo Jesus zu finden ist. Wer sind die denn? Es sind jene, die nein sagen zum Kirchenbetrieb und was darin so wichtig genommen wird. Es sind Menschen, die der Kirche fern stehen, nicht aus Unglauben oder Gleichgültigkeit oder Geiz. Nein, es gibt Menschen, die mit der Kirche, dem offiziellen Glaubensinstitut und Sittenwächteramt nichts zu tun haben wollen, weil es ihnen zu oberflächlich, zu geldorientiert, zu kleinkariert zugeht. Und daher gehen sie einen anderen, eigenen Weg. Und manchmal kommt ihr Herz da an, wo Jesus meint, dass es sein soll. Es sind mehr Menschen, als wir wahrhaben wollen; denn über sie wird in der Kirche nicht gesprochen. Sie werden als Ausgetretene gar nicht mehr zur Kenntnis genommen, sie existieren für die da oben nicht mehr.
Mal einige Zahlen: im Erzbistum Köln (von diesem Bistum kenne ich die Zahlen) treten im Jahr zwischen 12.000 und 14.000 Menschen aus der Kirche aus. 1992 waren es sogar 24.600. Das sind alles Menschen, die getauft sind, die über Jahre schulischen Religionsunterricht bekommen haben, die zur Erstkommunion geführt und gefirmt worden sind. Sie sagen heute zu dieser Kirche nein - bestimmt nicht alle nur aus Unglauben. Aber weder im Erzbistum Köln noch im Bistum Trier kann ich bei dem derzeitigen Bemühen um die Zukunftssicherung der Kirche einen Ansatz erkennen, wo es um die Rückgewinnung dieser Menschen ginge oder um die selbstkritische Frage, was man wohl falsch gemacht habe, weshalb diese Menschen die Kirche verlassen.
Wir brauchen dringend eine Neubesinnung auf den Menschen, für den Kirche da ist. Er muss der Angelpunkt kirchlicher Sorge sein. Das Überleben der Kirche ist weniger eine Frage des Geldes, sondern vielmehr eine Frage der Wahrhaftigkeit und Treue zu ihrem Gründer Jesus Christus. Für ihn gab es nur ein einziges Gebot: Gott und den Nächsten zu lieben.
Amen
Mt 22, 34-40: Von der Selbstliebe über die Nächstenliebe zur Gottesliebe Wilhelm Weber
Liebe Christen!
Im heutigen Evangelium geht es um das Grundgesetz christlichen Lebens: um das Gebot der Liebe. Jesus nennt in einem Dialog mit dem Gesetzeslehrer (der ihn auf die Probe stellen will) zuerst das Gebot, Gott zu lieben, und zwar aus ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen Gedanken. Dann stellt er als gleichwichtig neben das erste Gebot das Gebot der Nächstenliebe. Mit ihm verknüpft er die selbstverständliche Selbstliebe als Maßstab, was gelegentlich übersehen wird. Um das Liebesgebot zu erläutern, möchte ich mal den umgekehrten Weg gehen: zuerst über die Selbstliebe sprechen, da gibt es wohl am ehesten Übereinstimmung mit dem Hörer, dann über die Nächstenliebe, die sich an der Selbstliebe orientiert, und zuletzt über die Gottesliebe.
Selbstliebe
Selbstliebe meint nicht Egoismus pur, - obwohl ein bisschen Egoismus schon mit hineinspielt. Ich möchte das mit einer persönlichen Erfahrung erläutern. Vor vielen Jahren - ich war längst Pfarrer - fand ich mal eine Nikolauskarikatur. Da stand ein übermächtiger Nikolaus mit furchterregender Knecht-Ruprecht-Begleitung vor einem kleinen Jungen. Der sollte es offenbar mit der Angst zu tun bekommen. Aber das funktionierte wohl nicht. Stattdessen stemmte er seine Ärmchen in die Hüften und schrie dem Nikolaus entgegen: "Ich bereue nichts!" So oft ich an diese Karikatur denke, habe ich meine Freude daran. Wer einem Kind Angst macht, damit es bereut, tut ihm nichts Gutes. Ein Kind ist, wie es ist, und möchte so sein dürfen und von anderen so akzeptiert werden. Weder haben Eltern das Recht, über die Angst zu erziehen, noch haben religiöse Figuren oder auch kirchliche Autoritäten das Recht, mittels Angst (vor Hölle, vor Exkommunikation oder welche Androhungen auch immer) Menschen in ihrer individuellen Lebensgestaltung zu beeinflussen. Die Selbstliebe und Selbstachtung hat eine ganz selbstverständliche biblische Akzeptanz. Vielleicht war es diese Nikolauskarikatur, die mich heute im Rückblick auf meine 75 Jahre sagen lässt: "Ich bereue nichts." Das wiederum heißt nicht, dass ich alles richtig gemacht habe, aber dazu bin ich ja auch weder verpflichtet noch fähig. Ich darf Fehler machen.
Nächstenliebe
Dieses Recht auf individuelle Entfaltung und gesellschaftliche Akzeptanz, die ich für mich in Anspruch nehme, soll ich auch jedem anderen zubilligen. Das ist Nächstenliebe. Natürlich schließt das ein, dass ich anderen auch ermögliche, ihr Leben so zu gestalten, wie ich es für mich als selbstverständlich ansehe. Sie kennen die sogenannte goldene Regel: "Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu." Das ist die Negativformulierung des positiven "leben und leben lassen". Es wundert mich zutiefst, dass die hoch- und höchstgebildeten Mitglieder der jüngst in Rom versammelten Bischofssynode nicht auf die Idee gekommen sind, eine mit dem Evangelium verträgliche Lösung in den Fragen der in zweiter Ehe verheirateten Geschiedenen und der homosexuellen Lebensgemeinschaften zu finden. Offensichtlich ist die große Mehrheit - mit der Mehrheit meine ich eben nicht alle - sehr lebensfremd. Von deren Toleranz möchte ich ganz schweigen.
Gottesliebe
Von der Nächstenliebe komme ich nun auf die Gottesliebe. Was ich für mich in Anspruch nehme, das billige ich auch Gott zu. Darum lasse ich Gott Gott sein. Ich kann nicht von ihm erwarten, dass er so ist und sich so verhält, wie ich ihn gerne für mich hätte. Es gibt immer wieder Menschen, die ihren Unglauben damit begründen, dass Gott dieses oder jenes nicht hätte zulassen dürfen, wenn es ihn denn gäbe. Wer hätte schon den Überblick über Gottes Ratschluss und über sein Wesen und seine Eigenarten. Wer möchte sich schon zutrauen, Gott zu belehren, wie seine Liebe zu uns Menschen und zur ganzen Schöpfung auszusehen hätte? Die entscheidende Liebe zu Gott besteht darin, ihn Gott sein zu lassen, auch wenn man persönlich seine Anwesenheit nicht spürt und seine Wege nicht begreift. Dass man trotzdem an der Vermutung festhält, dass er es gut mit uns meint, dass er uns liebt grade auch in Zeiten der Not und der Bedrängnis, das ist Glaube und Liebe zugleich. -Übrigens: Jesus stellt das Gebot der Nächstenliebe dem Gebot der Gottesliebe gleich; das heißt: der Ort der Gottesbegegnung ist der Nächste. Wie man ihm begegnet, so begegnet man Gott, wie man ihn liebt, so liebt man Gott. In der Liebe und Sorge um den Nächsten kann man dem Herrgott zeigen, wie man es selber gerne hätte. Und trotzdem nimmt er sich die Freiheit, eben Gott zu sein. Und das zu akzeptieren, heißt: Gott lieben.
Amen
Mt 23, 1-12: Das Reformationsjubiläum und die Glaubwürdigkeit Wilhelm Weber
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Gerade ist das Reformationsjubiläum ins Land gegangen, da lädt uns das Evangelium dazu ein, über die Glaubwürdigkeit unserer religiösen Institutionen nachzudenken. Das soeben gehörte Wort läuft mir nach und lässt mich nicht in Ruhe. "Tut und befolgt alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen." - Ein kleiner kritischer Rückblick auf ein Fest ohne klare Konturen:
1. Kurz vor dem großen Jubiläum meldete sich Margot Käsmann, die bekannte evangelisch-lutherische Theologin, die man auch zur Botschafterin des Reformationsjubiläums erkoren hatte , zu Wort und sagte sinngemäß: die Einheit der Kirche sei gar nicht erstrebenswert, das sei dann wie eine Einheitspartei, die keine Opposition kenne und zuließe. Ein mutiges Wort, das zugleich erkennen lässt, dass die in diesen Tagen so viel beschworene Einheit ohne jede Kontur ist, d. h. ohne konkreten Inhalt, also eine leere Worthülse. So etwas ist wertloses Geschwätz, wenn man nicht gleichzeitig sagt, was man damit meint. Das, worauf die Gläubigen in den Kirchen warten, ist eine eucharistische Gastfreundschaft; das will sagen, dass Katholiken in der evangelischen Kirche als Gäste am Abendmahl teilnehmen dürfen, ohne sich den Zorn der katholischen Obrigkeiten zuzuziehen, und dass evangelische Christen die Eucharistie empfangen dürfen mit dem wohlwollenden Einverständnis katholischer Bischöfe. Aber das meint offensichtlich keiner der großen Vorbilder der Konfessionen in Deutschland: weder der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Kardinal Reinhard Marx noch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Heinrich Bedford-Strohm.
2. Gerade diese beiden Vertreter traten in den letzten Monaten häufig zusammen in der Öffentlichkeit auf, um Ökumene zu demonstrieren. So zum Beispiel Mitte Oktober 2016 mit einem großen Tross Gleichgesinnter bei einer Wallfahrt nach Jerusalem. Beim Besuch auf dem Tempelberg, der unter muslimischer Verwaltung steht, und an der Klagemauer, die eine jüdische Gebetsstätte ist, nahmen die Bischöfe ihr Brustkreuz ab. - "um niemanden zu provozieren" - wie es später hieß. Das Brustkreuz ist ein sichtbares Glaubensbekenntnis zum Gekreuzigten und Auferstandenen. Für dieses Bekenntnis sind in der Geschichte der Kirche Millionen von Gläubigen getötet worden. Man nennt sie auch Martyrer. So wurde aus der geplanten Demonstration ökumenischer Einheit eine Aktion ökumenischer Glaubensverleugnung.
Wie hieß es im Evangelium? "Tut und befolgt alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen."
Später als die öffentliche Kritik diese Kirchenfürsten einholte, hieß es, sie wären gebeten worden, so zu handeln, eben "um nicht zu provozieren". Doch ein israelischer Militärsprecher stellte klar, dass niemand von israelischer Seite ein solches Ansinnen an die Bischöfe gestellt habe. Ich weiß nicht, wie die Suche nach einem Schuldigen für diese Blamage ausgegangen ist.
3. Auf katholischer Seite möchte ich an Folgendes erinnern: Ausgerechnet der, der nach dem ersten ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin den katholischen Professor Gotthold Hasenhüttl suspendiert hat, war der heutige Kardinal Marx. Damals war er noch einfacher Bischof von Trier. Suspension ist das Verbot der weiteren Ausübung des Priesteramtes. Hasenhüttl hatte nämlich damals bei einer Messfeier am Rande des ökumenischen Kirchentages ausdrücklich auch evangelische Christen zur Kommunion eingeladen. In der Folge sollte Prof. Hasenhüttl dann ein Reueprotokoll unterschreiben und damit versprechen, nie wieder so etwas zu tun. Hasenhüttl entgegnete auf dieses Ansinnen, er, der sein Leben lang in Sachen Ökumene unterwegs war, würde damit seine evangelischen Schwestern und Brüder als Christen zweiter Klasse degradieren. Also kam das für ihn nicht infrage. Daraufhin wurde ihm, dem bereits emeritierten Professor, die Lehrerlaubnis entzogen - von seinem Bischof Reinhard Marx. - Heute führt Marx das große Wort als Ökumeniker. - Viele Gläubige hier im Bistum Trier haben da echte Glaubwürdigkeitsprobleme mit der Kirche.
Ich schließe mit dem Wort des Evangeliums, auf dass es nie in Vergessenheit gerate: "Tut und befolgt alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen."
Amen
Mt 25, 31-46: Was ist Jesus wichtig? Wilhelm Weber
Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer!
Am Ende des Kirchenjahres, heute also, lädt das Evangelium dazu ein, darüber nachzudenken, was nach Jesu Vorstellung eigentlich wichtig und richtig ist im Leben. In einem Bild vom letzten Gericht werden die alles entscheidenden Situationen durchgespielt. Interessant ist übrigens, dass diejenigen, die Gutes getan haben, den weiblichen Tieren, den Schafen, zugeordnet werden, während die Dummen, die ihr Ziel verfehlt haben, den männlichen, den Böcken zugeordnet werden. Das ist selten in der Bibel, dass die Geschlechterdifferenz zugunsten des Weiblichen ausgelegt wird. Am Anfang der Bibel ist Eva die Schwache, die der Versuchung erliegt und damit das Böse tut und entsprechend bestraft wird. Adam dagegen gilt als Opfer weiblicher Verführung. Jesus kehrt den Spieß um - endlich mal.
Was auffällt ist, dass alles das, was wir im innerkirchlichen Raum für so wichtig halten, keine Erwähnung findet. Vom Glauben an Gott ist keine Rede, von der regelmäßigen Mitfeier der Liturgie, von den Sakramenten und der Heiligenverehrung keine Spur. Streitfragen zu den unterschiedlichen Kirchenstrukturen, die die Christenheit in Konfessionen oder Sekten aufteilen, sind nicht erwähnt. Wahrscheinlich sind sie auch ganz unwichtig. - Stattdessen werden ganz elementare Situationen aufgezählt, wo einfach Hilfe geboten ist, Menschlichkeit und Nächstenliebe. Da geht es um Hunger, um Durst, Obdachlosigkeit, um Kleidung, die die Blöße bedeckt und vor Erfrieren schützt. Es geht um Krankheit und Einsamkeit. Wer sich davon anrühren lässt und hilft, der hat begriffen, was wichtig ist. Der lebt richtig. - Sind es nicht Situationen, die wir in den letzten drei Jahren, wo Hunderttausende in unser Land geflüchtet sind, zuhauf erlebt haben? Viele haben sich da engagiert, nicht nur Fromme, nicht nur Gläubige, sondern Gutwillige mit und ohne Religion.
Völlig neu aber ist, dass Jesus in diesem Gleichnis sich selbst in der Rolle des Armen, des Bedürftigen, des Notleidenden präsentiert. Er selbst ist es, der uns in diesen Menschen begegnet. Seine Zuhörer begreifen das zuerst nicht - weder die Barmherzigen noch die Unbarmherzigen. "Wann und wo haben wir dich so gesehen oder sind dir begegnet?" Und dann kommt die Erklärung: "Was ihr dem oder der Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan." Der Ort der Gottesbegegnung sind die Armen, - nicht zuerst die Liturgie, die Sakramente, die Wallfahrt nach Santiago de Compostella, nicht das Gebet im stillen Kämmerlein oder das feierliche Glaubensbekenntnis, nein, es sind zuerst die Armen, die die Schnittstelle zum Himmel sind. - Papst Franziskus hat diese Wahrheit wieder in unser Bewusstsein zurückgeholt. Er hat einmal gesagt: Es gibt eine Realpräsenz des Herrn in der Eucharistie und in den Armen.
Die biblische Erzählung ist eine Rahmenerzählung, wie man früher Wahrheiten transportiert hat. Der Rahmen ist nicht das Wichtigste, er ist eigentlich unwichtig. Also das letzte Gericht als Rahmen ist nicht die Offenbarung. Die Offenbarung dieser Geschichte ist, dass wir Gott in den Armen begegnen, also an den Rändern der feinen Gesellschaft. Dort schickt uns Jesus hin - damit wie ihm begegnen.
Amen
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